Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 28. Oktober 1860

Jena, 28 October

1860.

Lieber Haeckel!

Unser heute hier angelangter Freund überbrachte mir so eben Ihren Brief, den sogleich zu beantworten ich nicht saeumen will. – Was zuerst die Hamburger Angelegenheit angeht, so hat Bezold Ihnen die einzig richtige Interpretation gegeben bezüglich meiner Intentionen, die übrigens wie ich aus Ihrem Briefe ersehe, Gegenstandslos geworden sind. Ich kann unmöglich jene Person sein von der Sie sprechen. Wenn ein Jenenser damit gemeint ist, so ist es sicher Schleiden. Sollten Sie unter den nunmehrigen Verhältnissen die Hamburger Stelle wünschen? Ich glaube es nicht, und wünsche es nicht, um Ihretwillen! Denken Sie an die Direktion eines botanischen Gartens, an tausend damit verbundene Dinge, an tausend Dinge die gerade im Weltverkehr Hamburgs dem dortigen Botaniker zukommen, denken Sie endlich an den guten Lachmann! Ich halte es für meine Pflicht Ihnen dieß vorzuhalten, frei von allen persönlichen Rücksichten. Sehen Sie dabei den Freund in mir, und nicht einen Interessenten. Könnten Sie die zoologische Stelle für sich erhalten, dann va bene, dann will ich mich innig freuen dass a einer Ihrer Wünsche erreicht ist, der zugleich auch für Ihre Zukunft günstige Prospecte eröffnet.

Nun zu Jenenser Dingen. Erstlich erhalten Sie in der Anlage eine Abschrift der bezüglichen § der Statuten. Aus solchem geht hervor dass Sie sich zuerst an den Decan wenden müssen; dieser ist gegenwärtig Geheimer Hofrath Ried. Schreiben || Sie demselben einen ostensiblen, ausführlichen Brief, in welchem Sie sich auf Ihren persönlichen Besuch beziehen, und in welchem Sie ein Curriculum vitae, natürlich nur das wesentliche bezüglich der Studien etc. der Beziehungen zu Johannes Müller etc. einflechten. (Von Zoologie, versteht sich, nichts.) Legen Sie dem Briefe Ihre Arbeiten bei, auch ein paar Zeilen Ihres Herrn Vaters bezüglich des auf anliegenden roth angestrichenen Punctes. Es braucht nicht Gerichtliches dabei zu sein. – Auch Privatzeugnißeb lassen Sie weg. Nur das Doctordiplom können Sie vielleicht im Abdrucke zugeben, vielleicht auch das über das Staatsexamen. Besorgen Sie dieß sobald Sie Zeit haben, da es das zunächst nöthigste ist.

Lassen Sie sich nicht durch manches im Wortlaute der Statutenparagraphen abschrecken und nehmen Sie als Streitschrift jeden beliebigen Gegenstand, den Sie des Druckes für werth erachten, Sie können vielleicht ein Corollarium ihrer Radiolarienarbeit geben, den Allgemeinen Theil davon etc. Das ist alles Nebensache. Was den frei zu haltenden Vortrag angeht, so kann derselbe auch aufgeschrieben sein und ein Brouillon dabei versteht sich von selbst. Das Thema wird sich schon finden. Also zuerst der Brief mit der Meldung. Fragen Sie doch auch im Briefe an ob es nothwendig daß Sie vor der c eigentlichen Habilitation einmald hirher kommen. Und so wünsche ich denn daß Alles sich gut macht, d. h. daß Sie guten Muth behalten und auch glauben wollen daß Ihnen hier ein erfreulicher Wirkungskreis erblüht, || und daß es nun von Ihnen abhaengen wird nicht erst mit den Jahren, sondern recht bald schone in Verhältnisse zu treten, deren Eintreffen von Ihnen zweifelsohne angestrebt wird. –

Auf Schlangen und Eidechsen verzichte ich gerne, die Eier einer Schildkröte haben das was ich für Vögel u. Selachier fand völlig bestätigt, u. ich will nun die Arbeit abschliessen. Aber auch dieser Brief soll nun geschloßen werden und zwar mit beßten Grüßen von Ihrem

aufrichtigen

Gegenbaur.

Empfehlungen an Virchow, u. Al. Braun, welch’ letzterem ich für gütige Zusendung der Polyembryonen Dank sage. Morgen beginne ich das Semester!

[Beilage]

/ Wer als Privatdocent aufgenommen zu sein wünscht, hat sich zunächst an diejenige Facultät zu wenden, in deren Gebiete er thätig werden will. Hat die Facultät nach einer sorgfältigen Prüfung der Kenntniße und sonstigen Eigenschaften des Candidaten kein Bedenken, erkennt sie vielmehr in ihm den Beruf zum academ. Lehrer und sind auch darüber Nachweisungen gegeben, daß ein anstaendiger, den Verhaeltnissen entsprechender Lebensunterhalt desselben gesichert ist: so gibt sie ihr beifälliges Gutachten an den Senat. Mit Berücksichtigung dieses Gutachtens, aber ohne an solches gebunden zu sein erstattet der Senat weiter gutachterlichen Bericht an die durchlauchtigsten Erhalter. Die höchste so ausgebrachte Genehmigung der Aufnahme versteht sich unter folgenden Bedingungen:

1, Daß der Candidat, wenn er den statuten gemäß erforderlichen Grad noch nicht erlangt hat, in Jena selbst promovire und wenn er ihn zwar erlangt hat, aber auf einer anderen Universität, eine lateinisch geschriebene Streitschrift öffentlich ohne Praeses verteidige.

2, Daß derselbe über einen von der Facultät ihm aufgegebenen Gegenstand des Lehrfaches, dem er sich widmen will, in lateinischer oder deutscher Sprache einen freien Vortrag halte, wobei saemmtliche Mitglieder der Facultät gegenwärtig sein sollen, auch der Prorector und die übrigen Mitglieder der Universität gegenwärtig sein dürfen.

Wenn der Candidat diesen Bedingungen, und zwar auf eine völlig befriedigende Weise nicht Genüge geleistet hat, so darf derselbe seine Vorlesungen nicht beginnen, vielmehr ist er zurückzuweisen, nur hievon den Durchlauchtigsten Erhaltern unterthänigste Anzeige zu machen. /·

a gestr.: Ihr; b eingef.: Privat; c gestr.: E; d eingef.: einmal???; e eingef.: schon

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.10.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9915
ID
9915