Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 13. August 1860

Jena, den 13.ten

August 1860.

Lieber Haeckel!

Für Ihre freundlichen Zeilen meinen besten Dank abstattend, will ich Ihnen in der Kürze vor meiner Abreise noch einige Worte mittheilen.

Erstlich in Betracht unserer gemeinschaftlichen Angelegenheit: Vor Kurzem hat sich ein Privat Dozent angemeldet, und zwar für Historie der Medizin. Ich glaube nicht dass seiner Habilitation etwas in den Weg wird gestellt werden, da dieses Fach noch gar nicht vertreten ist. Wann der Mann zur Habil. kommen wird ist unbestimmt. Es kann für Sie gleichgültig sein, und ich theile es Ihnen nur mit, damit Sie orientiert sind falls Sie sonst etwas davon hören sollten. Eine andere, aber nicht officielle Meldung kam von einem der biederen Jenenser, für Histologie! Das könnte Sie mehr berühren, wenn die ganze Sache nicht geradezu lächerlich waere. Ich habe als conditio sine qua non Beweise für wissenschaftliche Befähigung verlangt, die werden ausbleiben, da es nur auf medizinische Praxis in loco abgesehen zu sein scheint. Es war jener von dem ich glaubte dass er sich für „Zoologie“ habilitieren würde! Wie die Sache also liegt wird Ihnen niemand zuvorkommen. Nichtsdestoweniger glaube ich doch dass es für Sie wie für uns gut sein wird wenn Sie die Angelegenheit nicht zu sehr verschieben. Sie || könnten vielleicht wenn anders die Radiolarien es erlauben bis Mitte October eingeben, und dann Ende October die Sache, die doch reine Form ist, abmachen. Waere es noch möglich die Bestätigung zu erhalten, so könnten Sie im Winter schon lesen, was sie sicher viel schwerer denken als es wirklich ist. Wenn ich alles erwäge wird es Ihnen sehr viel leichter sein als es mir unter den damalsa obwaltenden Umstaenden gewesen ist. Mit Seebeck habe ich bereits schon mehrmals Ihretwegen Rücksprache genommen, er weiss es zu schätzen eine so tüchtige Kraft wie Sie hieher zu bekommen, und doppelt angenehm ist es ihm wenn er dabei keine directen Schritte zu thun braucht, d. i. wenn der Eintritt unter die Dozenten durch Habilitation geschieht. Das weitere würde sich leicht finden. Dank Seebeck steht auch zu erwarten dass eine Beschleunigung der Sache möglichst betrieben würde, u. bis October sind die Nutritoren wohl sämmtlich wieder zu Hause! Sollten Sie den Winter auch noch nicht lesen so wünschte ich doch dass Sie die Sache abmachten; die Radiolarien werden Ihnen, nach Vollendung des schwierigen Allgemeinen Theiles wohl wenig Mühe machen. Die Tafeln die ja doch nicht alle auf einmal gestochen werden könnten Sie noch danach vollenden. Die Zeichnung ist jedenfalls rascher gemacht als der Stich, nur abzuwarten bis alle 30 Tafeln fertig sind, möchte zu lange währen. Ueberlegen Sie sich das doch noch einmal, ich denke, Sie finden dann dass ich nicht so ganz unrecht habe. ||

Durch Max Schultze erfuhr ich kürzlich dass in Hamburg eine Stelle für Vergleichende Anatomie und Zoologie errichtet würde, für welche man an Lachmann gedacht hatte; Schultze schrieb dass Sie wohl jetzt competent sein würden. Ich bin nun über jene Hamburger Projecte ganz ununterrichtet, und werde wohl Ende dieser Woche das nähere in Hamburg selbst erfahren. Dass ich in Ihrem Interesse verfahren werden versteht sich von selbst, selbst wenn Sie eine aeusserlich vorerst nicht unabhaengige academische Stellung jener Hamburger selbstaendigen, und gewiß ganz gut ausgestatteten vorziehen sollten. Es ist jedenfalls gut für Sie wenn die Stelle Ihnen angetragen würde, und wenn ich dabei im Annahmefalle auch um eine schöne Hoffnung aermer würde, so werde ich mich somit trösten Sie an der Erreichung eines Wunsches zu sehen, und glücklich zu wissen.

Immerhin lassen Sie aber die Habilitation nicht fahren, wenn nicht in ganz kurzer Frist die Hamburger Angelegenheit sich erledigt. Sie binden sich ja hier durch gar nichts, und können jeden Augenblick zugreifen, können aber auch, und darauf möchte ich besonderen Werth legen, nach der Habilitation jenes Anerbieten, wenn die Sache sich noch etwas verzögern sollte, hier verwerthen. Doch ich will Ihre Entscheidung in keinerlei Weise beeinflussen, unterlasse desshalb die Äußerungen b über das Hamburger Project, um selbst den Schein einer „Beredung“ zu vermeiden, und will nur wünschen dass alles zum besten sich wenden möge. ||

Sollten Sie mir vielleicht wegen Hamburgs etwas mittheilen wollen, oder wollten Sie mir wegen der dort in Ihrem Interesse zu thuenden Schritte einiges näheres angeben, so wird ein Brief mich längstens bis Sonnabend dort erreichen. Ich werde in Lincks Hôtel wohnen. Wie lange ich auf Helgoland bleibe ist ungewiß, wohl nur 3–4 Wochen. Wenn ich das Glück haben werde einige Dinge die mir sehr am Herzen liegen zu erledigen, so werde ich vielleicht noch kürzere Zeit dort weilen. Auch kann ich wohl auch für meine Eiarbeit etwas thun. Reptilien habe ich leider noch keine bekommen. Das Wetter ist allerdings für den Fang dieser Thiere nicht recht günstig gewesen. Sollte es Ihnen aber dennoch möglich sein durch Ihre Berliner Verbindungen Schlangen und Eidechsen für mich zu erwerben, so bitte ich darum. Ende September gehe ich nach Würzburg u. im letzten Drittel des October werde ich wieder hier sein, um wieder frisch an die Arbeit zu gehen.

Nun noch schönsten Dank für die Reiseskizzen. Sie haben manche Erinnerung in mir wach gerufen, u. ich bin Ihnen mit dem größten Interesse durch Siciliens Gefilde gefolgt! Möchte es mir vergönnt sein bald wieder einmal jene herrliche Insel schauen zu können.

Mit freundlichen Grüßen der Ihrige!

Gegenbaur

a eingef.: damals; b gestr.: alle Äußerungen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.08.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9913
ID
9913