Aigner, Eduard

Eduard Aigner an Ernst Haeckel, Riessersee, 6. Februar 1907

hôtel & Pension

Riesser-See

Station Garmisch

Höhenluftkurstation 800 m hoch

das ganze Jahr geöffnet.

Sommersaison vom 15. Mai bis 15. septbr.

Wintersaison von 15. dez. bis 15. Februar.

telephon No. 32.

Telegramm-Adresse: Riesser-See

besitzer:

Jos. buchwieser’s Wwe. & Söhne

Riessersee, den 6. Februar 1907

Hochverehrter Herr Professor!

Nachdem sich in den letzten Wochen die verschiedenen Schwankungen meines Gemütes etwas geklärt haben, halte ich es für meine Pflicht dem Herr Ehrenpräsidenten einen Bericht und eine gehorsame Meldung abzustatten.

Die ganz enormen Erscheinungen psychischer Überreizung, die mich in den letzten Monaten quälten, zwangen mich nunmehr, allen anderen Erregungen kein Gehör zu schenken, und nach Ruhe zu trachten.

Mein Plan das Monistenschifflein in ruhigeres Fahrwasser zu lenken und dann das Steuer weiterzuführen, ist leider auch gescheitert, da die anderen Insassen des Schiffleins redlich dafür sorgen, daß das überempfindliche und überempfängliche Sensorium des Steuermanns neue Gelegenheit hat, seine Reaktionsfähigkeit zu zeigen.

Das Alles soll heute unverrichtet bleiben. ||

Heute möchte ich in erster Linie meinem Bedauern Ausdruck geben, daß ich das, was ich mir vorgenommen und wozu ich mich Ihnen gegenüber verpflichtet fühlte – nicht ausführen kann.

Die ständige Schlaflosigkeit und die sich immer mehr steigernde Reizbarkeit, die mich alle Vorkommnisse in pessimistischstem Lichte und mit dem Vergrößerungsglas anschauen ließen, haben schließlich meine ganze Constitution in einer Weise geschädigt, daß ich reif für einea Nervenheilanstalt, meine Rettung in einer Flucht vor dem Monistensteuer erblicke.

Gern gestehe ich zu, daß die Erlebnisse der letzten Jahre, besonders meine Militäraffäre, den Grund zu der Erkrankung legten, und die Bundessorgen nur herrauf weiter bauten; auch ist zweifellos eine vererbte Anlage zu neurasthenischen Erscheinungen da, sonst könnte kaum dies an psychische Defekte erinnernde Benommensein des ganzen Denkens u. Trachtens in so hohem Grade auftreten, wie es in letzter Zeit bei mir der Fall war.

Unter normalen Verhältnissen würde und wird wohl auch die Praesidentenstelle keine solchen Anforderungen stellen und ist wie ich hoffe in letzter Zeit viel geschehen || um in geordnete Bahnen zu lenken.

Ganz unmöglich ist es nach meiner Meinung, mit dem Ausschuß als einem Senioren Convent weiter zu regieren. Der Ausschuß (insbesondere die Gründer,) hatb sich zum Teil zu Mitgliedern, denen der Bund völlig gleichgültig ist, entwickelt zum andern Teil sind sie als Nörgler tätig und ein ganz kleiner Teil nur zeigt Interesse am Bund und ist bereit für die Sache und wegen derselben zu arbeiten.

Und jeder Nörgler und jeder Untätige sollte die gleiche Macht und das gleiche Recht haben wie ich, der ich tagelang am Schreibtische sitze und mein ganzes Können der Sache zuliebe opferte.

Was habe ich allein dafür hinnehmen müssen, daß ich mich einem Annoncenbureau gegenüber zur Zahlung von 1400 Mark für den Bund verpflichtete. Wenn die Leute doch nur die Materie berücksichtigen wollten.

‒ ‒ Nun bin ich doch in das Fahrwasser gekommen das ich anfangs als heute nicht passierbar schilderte.

Mein Rücktritt wird nicht allerorts schmerzlich empfunden werden, wenn Sie das glauben Herr Professor, dann kennen Sie die Menschen nicht; wenn einer den Rücktritt schmerzhaft empfindet, dann bin es wohl in erster Linie || ich selbst und ich habe in diesem Kampfe auch das Schwerste schon hinter mir.

Noch bleibt mir eine kleine Arena, die mutigere Kämpfer bedarf, es ist die Münchner Ortsgruppe, die auch die Symptome des Bundesausschusses zeigt und zur Zeit schwere Krisen durchmacht. Hier fühle ich mich wohler und sicherer. Auch hier muß ich mir die Zügel anlegen, wenn ich wieder werden soll, wie ich war.

Ihnen Herr Professor aber möchte ich noch immer versichern, wie sehr mir Ihr Werk, der Bund am Herzen liegt und leise regt sich in meinem Innern die Hoffnung, daß doch noch andere Tage kommen, wo ich dies zeigen kann.

Eben scheinen die letzten Strahlen der Abendsonne durch mein Fenster, die herrliche Winterlandschaft vor mir läßt mich vergessen, daß ich als Kranker hierher beordert wurde und ich senden Ihnen einen warmen Gruß vom Fuße der höchsten Warte unsere deutschen Vaterlandes als Ihr Expraesident

Ihr Dr. Aigner.

a eingef.: eine; b korr. aus: haben

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.02.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8842
ID
8842