Justus Aischmann an Ernst Haeckel, München, 11. Oktober 1908
Justus Aischmann.
stud. iur.
München, den 11. Oktober 1908
Leopoldstr. 25/I.
Hochverehrter Herr Professor!
Verzeihen Sie vielmals, wenn ich mir gestatte Sie mit einer Frage zu belästigen.
Auf dem hiesigen Oktoberfest war als Abnormität ein 17jähriger junger Mann zu sehen, genannt „Lionel, Der Löwenmensch.“ Sein ganzer Körper war mit seidenweichem Haarwuchs bedeckt und insbesondere von seinem Kopfe wallte eine lange Mähne herab. Seine Augen hatten einen listigen, raubtierartigen Ausdruck. Nach Aussage und nach dem Glauben seiner noch lebenden Mutter soll dieses Kind auf folgende Weise zu dem geschilderten Aussehen gekommen sein: Sein Vater war Löwenbändiger und wurde eines Tages, als er den Käfig betrat, || vor den Augen seiner entsetzten Gemahlin von den Bestien angefallen und zerrissen. Die Frau befiel eine tiefe Ohnmacht; furchtbarer Schrecken hatte ihr Inneres ergriffen und für immer haftete diese Szene in ihrer Erinnerung.
Sie befand sich damals gerade im Zustande der Schwangerschaft. Etlich Monate nach dem Tode ihres Mannes gab sie diesem Kinde das Leben, das, wie sie meinte, durch die von ihr durchgemachte seelische Erregung halb Mensch, halb Löwe geworden war. – Ist nun, sehr geehrter Herr Professor, diese Erklärung wissenschaftlich haltbar? Oder wie könnte diese Missgeburt sich wohl sonst herleiten lassen? Indem ich Sie um gütige Aufklärung bitte, zeichne ich hochachtungsvollst
D. O.