Korsch, Carl August

Carl August Korsch an Ernst Haeckel, [ohne Ort], 18. August 1901

1901, 18 August.

Hochgeehrter Herr Professor!

Von einer Ferienreise zurückgekehrt, finde ich Ihr gütiges Schreiben vom 31 vorigen Monats und Ihren „Monismus“, für dessen Uebersendung Ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank ausspreche. Zu meiner Freude finde ich auf Seite 19, daß Sie den Gedanken, dessen nähere Ausführung den grundlegenden Inhalt meines Buches ausmacht, schon am 9 October 1892 als Vermuthung ausgesprochen haben mit den Worten:

Vielleicht sind die Uratome selbst ursprünglich „Verdichtungspunkte“ der schwingenden „Substanz“§, deren Rest den Aether bildet.

Ich werde nicht verfehlen, in der nächsten Auflage auf diese Thatsache ausdrücklich hinzuweisen. Bei Abfassung meines Werks kannte ich nur eine ältere Ausgabe Ihrer Anthropogenie, welche einer meiner Bekannten mir während des Drucks geliehen hatte.

Ihr Glaubensbekenntniß kann ich seinem we-||sentlichen Inhalte nach unterschreiben. Mein Monismus geht sogar soweit, daß ich auch die bisher allgemein als selbstständiges Prinzip angesehene Attraktionskraft aus der einheitlichen Grundkraft, dem blinden Ausdehnungswillen (realen Raumwillen) eines begrenzten Einzelnen herleite, und das Bewußtsein durchweg auf die Unterscheidung des eigenen Empfindungszustandes der in Veränderung begriffenen Substanz zurückführe. Meine Unterscheidung des thätigen Willens in + und – Kraft ermöglicht die Auffassung des Gedankens als eines rein inneren physikalischen Vorgangs, der sich zwanglos als Glied in die Ursachenkette einreihen läßt und das Gesetz von der Erhaltung der Kraft auch auf geistigem Gebiete zur vollen Geltung bringt.

Ich fand, daß die bisher als Axiom angesehene Kantsche Raumanschauung || nur zur Hälfte richtig ist. Sie beruht auf der irrthümlichen Voraussetzung, daß der Raum nur äußere Anschauung sein könne, während es ebensogut möglich ist, ihn als innere Anschauung aufzufassen. Ein Lebewesen von solcher Gestalt, welches alle sinnlichen Wahrnehmungen auf seiner Innenseite machen würde, müßte nämlich, auf der Höhe eines Kant angelangt, mit derselben Selbstverständlichkeit den Raum als innere Anschauungsform und sich als Weltganzes ansehen, wie wir genöthigt sind, unser Ich zum substanzlosen Gespenst zu machen. Ihr „Rest der Substanz“, meine Monen, können daher als von einer Mone umspannt gedacht werden, welche sie durch Entzweiung ihres ursprünglich blinden Willens in sich hinein gesetzt, durch weitere Grenzschwingungen ihrer selbst in der von mir dargelegten Weise zur Verdichtung gebracht hat und mit ihrem widerwilligen Innern zusammen als einheitlicher Weltorganismus mit doppelter Bewußtseinsseite zu höheren Daseinsformen aufsteigt.

Wenn auch Sie finden sollten, daß diese Annahme durch eine ausreichende Erklärung der Schwerkraft und sonstiger dunkler Naturerscheinungen gestützt wird, auch die Nothwendigkeit des Daseinskampfes und des Uebels genügend dargelegt, so würde dies allein schon genügen, mich für die auf mein Buch verwendete Mühe reichlich belohnt zu fühlen. In dieser Hoffnung verbleibe ich

mit hochachtungsvoller Verehrung

Ihr ergebenster

Carl August.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
18.08.1901
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8412
ID
8412