Baerenbach, Friedrich von

Friedrich von Baerenbach an Ernst Haeckel, Pressburg, 30. Dezember 1877

Zur Zeit: Pressburg in Ungarn

30/XII. 77.

Grüner Platz 256.

Hochgeehrter Herr,

Gestatten Sie mir, Ihnen gleichzeitig mit meinen allerfreundlichsten Glückwünschen zum Jahreswechsel auch meine neueste Schrift „Gedanken über die Teleologie in der Natur“ zu überreichen – als ein neuerliches Zeichen meiner Hochehrung und Anhänglichkeit für Ihre Person und Ihre wissenschaftlichen Verdienste.

Wenn Sie die Schrift lesen u. Ihres freundlichen Urtheils werth halten wollen, so werden Sie mir vielleicht zugeben, daß Sie nicht der Drachentödter jeder Teleologie sind, den die Materialisten aus Ihnen haben machen wollen, ebensowenig als Darwin, dem diese Ehre in der Nachfolge Straussʼ von mehreren Seiten zuerkannt worden ist. ||

Die Behandlung der teleologischen Frage in der vorliegenden Schrift ist vorwiegend erkenntnißtheoretisch. Vom Standpunkte der Erkenntnißtheorie sollte der Nachweis erbracht werden, daß durch den Darwinismus nicht mit aller Teleologie aus sei, sondern daß vielmehr die teleologische Auffassung denknothwendig die naturwissenschaftlich mechanische ergänzt. Da ich mir die breitere Ausführung erst für ein ausführlicheres Werk zurechtlegen müsste, fehlte es an Zeit und an Raum, um meine Behauptung zu exemplificiren u. in den Augen derjenigen Naturforscher zu erhärten, welchen die erkenntnistheoretische Beweisführung nicht zu genügen scheint. Sie aber werden, wie ich glaube, mit Ihrem genialen Scharfblick leicht herausfinden, auf welche Lehren Darwins und auf welche Theile Ihrer Lehren ich mich beziehe, wenn ich die heutige Entwickelungslehre und die Selectionstheorie für eine immanente natürliche Teleologie, für die Teleologie der wirkenden Ursachen erkläre, welche mit Kants Kritischen Zweckmäßigkeitslehre keineswegs || im Widerspruch ist sondern die selbe nothwendig ergänzt. Die Lehre von der geschlechtlichen Zuchtwahl bewegt sich nur in solchen Teleologien. Was anderes bedeuten denn die Schutzfarben und die sekundären Geschlechtscharaktere? Herrscht nicht überall der Zweck der individuellen Existenz, der Entwickelung der vererbten Anlagen u. des möglichst günstigen Ausformens im Kampfe ums Dasein durch Anpassung an die günstigsten Lebensbedingungen? Ist nicht die natürliche Züchtung eine im eminenten Sinn teleologische Erscheinung – freilich nicht teleologisch im Sinne der Theologen, des Aristoteles u. der Scholastiker – aber teleologisch gewiß, denn es zeigt sich immer und immer wieder, daß Dies oder Jenes geschieht, um diese oder jene Wirkung nothwendig u. mit sehr geringen Aberrationsmöglichkeiten zu erzielen! Und ist Ihre „Transformation in höhere Lebensformen“ nicht in ähnlicher Weise teleologisch, insoweit das jeweilige Ziel in den Entwicklungsvorzügen gegeben ist u. deshalb von äußerer Vernunft als Zweck derselben erkannt u. gesetzt wird! Ich kann heute leider nicht auf die Einzelheiten eingehen – Ihnen nicht an den Beispielen meine Gedanken verdeutlichen u. exemplificiren u. muß Sie deshalb bitten, mir zu gestatten, Ihnen dieselben mit Beispielen und Belegen bei anderem Anlaß ausführlicher || zu entwickeln. Ich hoffe daher an noch geringer Zahl von Beispielen im Einzelnen anschaulicher zu machen, was ich in dieser Schrift nur erkenntnißkritisch und erkenntnistheoretisch darzustellen unternahm. So viel scheint mir, aber schon aus dieser Schrift nothwendig hervorzugehen, daß die Namen Darwin und Häckel mit Unrecht zur Deckung der systematischen Antiteleologie herbeigezogen, u. mit Kant in Zwiespalt gebracht werden, daß sich nicht die Abschaffung alles Zweckdenkens sondern daß Suchen und Finden des richtigen Zweckbegriffs u. die Begründung einer immanenten natürlichen Teleologie, der Teleologie der wirkenden Ursachen an Ihre Lehren knüpft. Die ganz ausführliche Entwickelung dieser Gedankenreihe muß leider ersta dem III. Theil meines vorbereiteten größeren Werks über Kritische Philosophie vorbehalten bleiben. Schon früher aber hoffe ich Ihnen meine Behauptungen an speciellen Fällen zu exemplificiren.

Noch einmal empfehle ich diese wie meine vorige Schrift Ihrem freundlichen Interesse und gütigem Urtheil, das, wenn es fallen mag, immer dankbar vernommen werden wird.

Gestatten Sie mir schließlich Ihnen meine freundlichsten Wünsche zu wiederholen, und die Bitte, freundliche Gesinnungen zu schenken u. zu bewahren Ihrem mit vorzüglicher Hochehrung ergebenen

Friedrich von Baerenbach

aus Wien.

a eingef.: erst

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
30.12.1877
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8241
ID
8241