Baerenbach, Friedrich von

Friedrich von Baerenbach an Ernst Haeckel, Pest, 16. Dezember 1876

Pest 16 Dez 1876.

der Zeit: Pest, Josefsplatz 6. (Ungarn)

Hochgeehrter Herr!

In Erwiderung Ihres liebenswürdigen Schreibens vom 24. Nov. sage ich Ihnen vor allem den herzlichsten Dank für die freundliche Aufnahme meiner Schrift über Herders Verhältniß zur modernen Naturphilosophie sowie inbesondere für die gütige, wohl über Verdienst anerkennende Beurtheilung, die Sie meinem redlichen Streben zu Theil werden lassen.

Daß Sie von einer Überschätzung Ihrer Thätigkeit sprechen, ist eben nur ein neuerlicher Beweis Ihrer alles Persönliche zurückweisenden wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit und Bescheidenheit, die übrigens an der Anerkennung der besser denkenden Mit- und Nachwelt nichts wird zu ändern vermögen. ||

Daß Sie unbestritten der Verbreiter und Fortbilder der Darwinschen Lehren in Deutschland sind, werden Ihnen alle – und selbst die angesehensten und als Spezialisten der Wissenschaft bedeutendsten Anfeinder Ihrer Schöpfungsgeschichte nicht mehr nehmen können. An solche Geistesthat kann wohl der Geist der absoluten Negation und beleidigter Professoren Eigenliebe ihre Pfeile verschwenden, aber rückgängig lassen sich die Verdienste nicht mehr machen, die Sie sich als Verbreiter Darwinistischer Ideen und als Bahnbrecher und Ausbilder naturphilosophischer Elementar-Wahrheiten in Deutschland speciell und für die ganze moderne Wissenschaft überhaupt erworben haben a. – ||

Erst müsste der ganze Riesenbau der naturwissenschaftlichen Forschung unseres Jahrhunderts verschwinden, dann erst könnte mit dem Namen Darwins und seiner größten Mitarbeiter auch der Ihrige in den Schatten der Vergessenheit gestellt werden. Solange aber dies Unmögliche nicht geschieht wird er leben, wenn Ihre schreibseligen Anfechter nurmehr in den Winkeln der Antiquariate vermodern werden. –

Daß Sie den vortrefflichen Gedanken, die in Herders „Ideen“ enthalten sind, Ihren Beifall und ein gewisses Interesse für die Geschichte der Entwicklungslehre nicht werden versagen können, war mir, bei Ihrer bekannten und von mir stets gerühmten Denkweise im Voraus klar. Hoffentlich wird sich die Gelegenheit finden lassen, an anderer Stelle darüber zu sprechen. Es wäre gewiß von Interesse, wenn Sie bei sich darbietender Gelegenheit, die erörterte Frage mit in die Geschichte der Entwicklungslehre hineinbezögen, wie Sie es mit Göthe, Kant und allen Andern gethan haben. – ||

Ihre freundliche Ermunterung zum Mitarbeiten auf diesem großen und viel verheißenden Gebiete hat mich sehr erfreut und geehrt – und werde ich meiner vielverzweigten Thätigkeit die Zeit für neue comparativ-historische Forschung abzuringen trachten, auch nicht versäumen, bei Lessing Minen zu graben und Sie, wenn Sie es gestatten, von den weiteren Resultaten von Zeit zu Zeit zu verständigen. Es schwebt mir schon seit lange ein interessantes Problem, so etwas wie eine „Geschichte des Entwicklungsgedankens“ vor, nur scheint es mir, als ob diese Arbeit im eigentlichen Sinne den ganzen Menschen forderte – u. mir das nicht gelingen wird.

Indem ich Ihnen für die freundliche Sendung Ihres Bildes herzlich danke, das mir eines der theuersten Geschenke ist – und über andere mir näher befreundeten Rittern vom Geiste auf meinem Schreibtisch thront – lege ich, Ihrem Wunsche entsprechend, mein Bild bei, das allerdings nicht mehr ganz genau zu nehmen ist. – Sie in Ihrem lieben Jena besuchen u. in Verkehr mit Ihnen zu treten, ist auch mein sehnliches Hoffen. Ich bitte Sie aber, auch bis hin in freundlicher Erinnerung zu bewahren u. zeitweilig Einkehr zu halten bei Ihrem verehrungsvoll ergebenen

Friedrich von Bärenbach.

a gestr.: , nicht mehr

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
16.12.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8237
ID
8237