Karl Bauer an Ernst Haeckel, München, 24. Dezember 1908
München. Ungererstr. 8. III. | 24.12.8. | Abends.
Lieber verehrter Herr
Geheimrat!
Ihren freundlichen Brief, der soeben ankam & meine gestrige Darwinkarte an Sie kreuzte, möchte ich gleich beantworten.
Ausser den mir durch Richard Semon (von Francis Darwin) besorgten & geliehenen Photographien habe ich einen Holzschnitt nach einem Gemälde von Collier (ganz von Vorne gesehen), ausserdem – das beste Bildnis – eine Photogravure || ein Blatt aus dem Corpus imaginum der altena Photographischen Gesellschaft in Berlin, ferner eine Cabinetphotographie aus „Bruckmanns Porträt-Collektion.
Was Sie mir geliehen haben, ist ein Kupferstich von H. Sachs im Verlag von Stiefbold & Comp. Berlin & eine Vergroesserung der Auffassung, die ich Ihnen auf der gestrigen Postkarte übersendete & welche bereits im Handel sehr verbreitet ist & keine Bezeichnung hat. Das schoenste Bildnis Darwins bleibt wohl immer Ihre gerahmte Radierung, die Sie mir im Zoolog. Institut zeigten (bei Angerer erschienen). ||
Leider kann ich Ihnen nicht das Vergnügen machen, b Ihnen bis 12. Febr. das grosse Oelbildnis von Darwin fertig zuzusenden.
Dagegen arbeite ich zur Zeit an der Vorstudie zum Kopf für dieses Bild. Ich will den Kopf alleine etwa bis Mitte Januar als grosse Steinzeichnung veröffentlichen, als Gegenstück gedacht zu Ihrer Steinzeichnung.
Dies ist vielleicht von Intresse für Herrn Commerzienrat Schwarz, der schon Goetheblätter von mir gekauft hat. Ich waere gerne bereit zum Zweck der Vervielfältigung || ihm in schwarz & weisser Farbe oder in mehr Farben einen Darwinkopf zu malen – Natürlich gegen annehmbaren Preis – oder eine grosse Zeichnung in Kohle oder Kreide zu machen. In einem Kunst-Kalender (Verlag Fritz Heyder. Berlin) wurde dieses Jahr ein Darwin von mir, eine frei entworfene Federzeichnung veröffentlicht. – Unser gestern geschriebenes Bedauern über Ihren unglücklichen Fall muss ich leider wiederholen, da ich hoere, dass Sie noch mehrere Wochen damit zu thun haben werden. Moechte Ihnen das neue Jahr doch recht baldige vollstaendige Heilung || bringen, damit Sie mit bekannter Frische Ihren congenialen unsterblichen Freund feiern koennen. Bei meinen Studien von Darwin in Lebensgroesse bin ich übrigens überrascht, wie viel niedriger seine Vorderstirne ist als die Ihrige, dagegen istc sein Hinterkopf noch mehr entwickelt. Auch das Mittelhaupt, wo das Gemütsleben sitzen soll, ist beim Englaender niedriger.
Bei Herrn Walther erfreuten || wir uns vor einigen Tagen an den frohen, frischen Kinderlein im Schmuck der Häckel’schen Goldlocken. Auch die Eltern sahen sehr wohl aus.
In den letzten Wochen gab es durch eilige Aufträge laengere Unterbrechungen, sodass ich die Arbeit an Ihren d Jenenser Bildnissen immer wieder unterlassene musste, aber ich bin jetzt, wie schon erwähnt, wieder daran. Ich möchte, nachdem ich nun Ihren Kopf aus der Erinnerung || & mit Hilfe eines ähnlichen Modells ganz fertig gemalt habe, abwechslungsweise an den 4 Bildnissen weiterarbeiten, um sie gegenseitig zusammenzustimmen.
Auch möchte ich die Bildnisse nicht einzeln zeigen, sondern erst dann, wenn man die Auffassung & Gegeneinanderstellung aller 4 Männergestalten klar erkennen kann.
Frau Semon brachte mir einen Brief, in welchem sich Bölsche für meinef übersendete Steinzeichnung von Ihrem Kopf bedankt. ||
Als Meistbeteiligter wird es Sie, lieber Herr Geheimrat, intressiren, was er über unser gemeinsames Werk schreibt. Es heisst darüber: „in der That ist dieses Portrait das unbedingt „echteste“, das ich (als alter Spezialkenner der meisten Haeckel-Bilder) bisher gesehen habe. Es ist der Ausdruck unnachahmlich getroffen, wenn H. zuhoert oder auf eine Frage einen Moment pausirend nachdenkt. Er ist so tiefer als mit dem hergebrachten Lächeln. Dieses Lächeln wird allerdings denen, die es gekannt haben, auch unvergesslich sein. Technisch ist das Bild ausserdem über jedes Lob erhaben, ein absolutes Meisterstück. Ich habe sogleich … diesem den Ehrenplatz gegeben etc.“ Sie sehen, ich bin gut weggekommen.
Mit herzlichsten Grüssen & Wünschen, auch von Haus zu Haus
Ihr ergebener
Karl Bauer.
a eingef.: alten; b gestr.: &; c eingef.: ist; d gestr.: Jenaer; e korr. aus: unterbrechen; f korr. aus: eine