Hans Freiherr von Bechtolsheim an Ernst Haeckel, Bad Kissingen, 2. Januar 1905
KÖNIGLICHES
BAD-COMMISSARIAT
KISSINGEN.
BAD KISSINGEN, DEN 2. Januar 1905.
Ew. Hochwohlgeboren!
Sehr verehrter Herr Professor!
Als begeisterter und überzeugter Anhänger Ihrer Lehre erlaube ich mir eine Anfrage, deren Beantwortung ich in den „Welträtseln“ und „Lebenswundern“ nicht gefunden habe. Was versteht der Monismus unter „Propheten“, jenen Philosophen der Juden, wie Herr Professor sie bezeichnen? Hettinger sucht an der Hand der Weissagung über den Messias die Gottheit Christi nachzuweisen und zeigt, wie genau die alttestamentlichen Prophetien im neuen Testament in Erfüllung gingen. Im alten Testament wird sogar der Zeitraum angegeben, der von der Zerstörung Jerusalems bis zur Geburt Christi verfließen wird etc. Das sollte || nun alles eingetroffen sein? Sogar der geweissagte Ritt des Messias auf der Eselin? Ohne fortwährende „Wunder“, die an den jüdischen Hellsehern sich ereigneten, kann ich mir eine Möglichkeit der Prophezeiung nicht denken; Wunder aber kennt der Monismus nicht.
Ich bin nicht so vermessen, hochgeehrten Herrn Professor um eine Erklärung zu bitten, wie sie gewiß hundertfach brieflich erbeten und ersehnt wird, darf aber vielleicht auf die Angabe eines Buchtitels hoffen, in welchem die Anhänger Ihrer Lehre auch über diesen Punkt richtig aufgeklärt werden.
Mit dem Ausdruck der unbegrenzten Hochachtung verharre ich
Ew. Hochwohlgeboren
dankbar ergebenster
Hans Frhr. von Bechtolsheim.
Bad Kissingen (Bayern)