Becker, Daniel Georg

Daniel Georg Becker an Ernst Haeckel, [Heppenheim], 25. November 1906

Blut ist ein ganz

besondrer Saft! (G)

Verehrter Freund.

Die Entdeckung Friedenthals wird hoffentlich mächtig auf die noch übrigen Gegner Darwins zu wirken a Veranlassung sein. Pag 60 Ihrer berliner Vorträge hat mich hochfreudig überrascht! Da wird ja Ihr Stammbaum zur allmäligen Blüthe kommen, wo jetzt die „Blutzeugen“ dem Nachweis der Abstammungstheorie liefern.

Virchow ist abgethan! Denn hier hört das Verdrehen auf! Die Arbeit Friedenthals hat, meinem schwachen Denken nach, eine ungeheure Tragweite!

Denn der Nachweis der nächsten Verwandschaft ist erst bis zu den Reihen der Halbaffen gediehen. Und an Alledem sind Sie, lieber Freund, schuld. Denn hätten Sie nicht den schmalen Weg zu Darwin restlos verbreitert, und durch die Bogenlampe Ihrer Wahrheitsliebe erleuchtet, Friedenthal wäre nie auf die „Blutzeugen“ gekommen. Jetzt wären einige E. Häckels zu großer gedeihlicher Weiterführung nöthig! So groß denke ich mir die nun erwachsene Arbeit am Stammbaum! ||

Wie sich nun Herr Wasmann dagegen stellen wird? – denn opponieren wird er!

Ob Virchow auch jetzt noch „krankhafte Veranlagung“ vorzuschützen im Stande wäre?

Der Mann hat Berlin verdorben! Es steht auf lebendig sumpfichen Boden! Die Planetenparasiten unterliegen seinen giftigen Ausdünstungen mehr oder weniger.

Deswegen aber verzage ich b so wenig wie Sie, lieber Denker!

Wie das Wasser in trockenem Sand, werden die nicht zu vernichtenden neuen Verkehrsmittel in die Völker eindringen, und Brüder aus Parteigängern hervorbilden.

Dann kommt der Tages des Herrn! Der Sieg der Vernunft! Aber dann? – – Streiten sich die Vernünftigen! Denn Wellen schlagen muß es, sonst wird die See giftig!

Ich meine, mit meinen 76, daß die Elektrizität die ganze Geschichte zusammen und auseinander jagt, daß sie die geheimnißvolle Treiberin der Atome ist. ||

Um am schnellsten wieder an dem Kreislauf der Atome theilnehmen zu können, bleibe ich im Licht, werde verbrannt, und an romantischen Plätzchen von den Händen meiner Erben ausgestreut.

Ob auch Sie, verehrter Freund, diese Ansicht theilen, weiß ich nicht. Wollen Sie sich begraben lassen, um unter Umständen, exhumiert zu werden? Wieder begraben werden? Das Bild seines Abgelebtseins, dasc sich der Mensch so entwirft, als wäre er empfindend dabei, und genösse ihm allenfalls gespendete Ehrenbezeichnungen gerührt mit, ist doch sicher hinfällig. Da lieber doch gleich in die Luft! Doch ich verlaufe mich für Ihre knappe Zeit schon zu lange, und schließe mit dem Wunsche ungetrübter Sonnenwendfestfeier.

Ihr alter

D. G. Becker

25/11/6

a gestr.: zu; b gestr.: aber; c korr. aus: daß

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
25.11.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7745
ID
7745