Berg, Clara

Clara Berg an Ernst Haeckel, Berlin, 9. April 1918

Berlin, d. 9.4.18.

Sehr geehrter Herr Geheimrat!

84 Jahre ist ein hohes Alter, und Ihre vielgebrauchten Nerven sind gewis recht mürbe, aber da Sie einen klaren Geist haben, können Sie ruhig noch ein paar Jährchen zugeben.

Wie Sie das machen sollen? Sie brauchen:

1. Gemütsruhe

Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. Waren Große Ihrer Art auch wohl in mancher Beziehung Wilde, so sagt das Wort: Wer seine Hand an den Pflug legt und schauet zurück, ist nicht geschickt zum St. Gottes. ||

2. Naturfreude.

Wer der Natur gehorcht, dient am würdigsten dem Himmel. Lassen Sie sich gern von der lieben Sonne bescheinen, auch Wiesengrün und linde Luft wirken wie Balsam.

3. Aufathmen

Das Unfertige um uns, hat von Kind an soviel Keime in uns erstarren lassen, daß wir nur dadurch die zur Krankheit neigende Natur bekamen.

Gott erlaubt es uns, hat es uns zugesagt, daß wir im warmen Licht seiner Gnade, die wir allerdings „glauben müssen“ erwachen sollen. O wie können sich da die gepreßten Organe dehnen und recken. ||

4. Sorglos sei.

Wieviel Sorgen sind ungewollt des Menschen tägliches Brot. Alle eure Sorgen werfet auf ihn, er sorget für euch.

In diesem Sinne sorglos warten wie ein Kind.

5. Einsam werden.

Die Welt um uns, die Menschen so gut sie es oft auch meinen, athmen eine Unruhe aus, daß wir immerfort dagegen uns wehren müssen. Legt die Ruhe in das Leben, aber sucht sie nicht darin. Indem ich Sie bitte auch einmal eines unbedeutenden Menschen Rat zu beachten,

bin ich Ihre ergebene

Clara Berg

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.04.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7338
ID
7338