Bose, Carl August Graf

Carl August Graf Bose an Ernst Haeckel, Baden-Baden, 1. Januar 1885

Baden den 1 Januar | 1885

Ew. Magnifizenz,

Hochgeehrter Herr Prorector!

Ihren freundlichen Brief mit den guten Wünschen habe ich erhalten und erwidere dieselben von Herzen. – Sie haben nur zu Recht zu sagen, daß mein Leben zerrissen ist und mich auf die „Resignation“ hinzuweisen, worin meine liebe Frau so traurige und doch verführende Gedanken ausgesprochen hat. Wohl muß ein Jeder sich der Ἀνάγκη fügen, aber es wird schwer und die Jahresabschnitte erneuern || die Wunden. –

Mit Interesse erfuhr ich, daß Ihre Arbeit über die Radiolarien sich endlich dem Ende nahet; es ist dieß freilich mehr im Hinblick auf Ihre Augen und Ihre freie Zeit, die ja beide davon so absorbirt wurden. Und nun wollen oder müssen Sie gar noch darum Ihr Riviera-Project aufgeben! –

Sehr würde es mir lieb sein, wenn Sie im März mein Gast hier sein wollten. Nach dem siebzigsten Jahre lernt man noch mehr als sonst vom Horaz jeden geschenkten Tag lucro apponere und so möchte man so bald und oft als möglich befreundete Seelen begrüßen. –

Von meiner Schwester erhielten Sie eine Gratulation, wie || gewiß manche gleichartige. Die Affenidee fesselt den Deckan gar zu fest, wie ein Alp. – Leider ist meine Schwester öfters unwohl an gichtischen Beschwerden aber dazwischen durch ihr im Ganzen heiteres sanguinisches Temperament darüber getröstet. Mein guter Dr Weinland ist in letzter Zeit auch nicht gesund; er hat einen so schnellen Puls (bis oft 100 Schläge in der Minute) und Herzbeschwerden, was doch einen inneren Grund haben muß, auch bei sonstiger Rüstigkeit. So ist man immer in Bangigkeit um das Wenige, was einem noch bleibt. –

Mit Gribi in Interlaken bin ich noch in Verbindung und er läßt sich Ihnen empfehlen. –

Von Ihrem Serenissimus empfing ich neulich ein gnädiges Handschreiben || in so herzlichem wohlthuenden Tone, daß es mich wahrhaft rührte. Er spricht sich darin, sich auf Beide beziehend, im Sinne von Carl August und Göthe in Bezug auf die Wissenschaft und seine Forschung aus. Er ist doch darin eine rara avis unter den Gesalbten des Herrn! – Wir haben bisher einen milden Winter, Schnee auf den Bergen, fast keinen im Thal mittlere Temperatur um 0 Reamur. Windstille und Nebel. Für mich angenehmes Wetter, doch habe ich immer an quälenden Hustenanfällen zu leiden. –

Leben Sie wohl hochgeehrtea Magnifizenz ich selbst rechne mich zum Deckan wie lucus a non lucendo bin aliae stets

Ihr

aufrichtig ergebener

Graf Bose

Nochmals die besten Wünsche für Sie und die Ihrigen.

a korr. aus: hochgeehrter

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
01.01.1885
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6473
ID
6473