Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 8. November 1918

Bielefeld, 8.11.1918

Sehr geehrter Herr Professor!

Gestern Abend erhielt ich Ihre Paketsendung, über deren Inhalt ich mich sehr gefreut habe. Ich spreche Ihnen für die schönen Gaben meinen herzlichsten Dank aus, ganz besonders für die zwei Aquarelle, die fortan einen dauernden Platz in meinem Arbeitszimmer haben werden.

Nun haben wir also die richtige Revolution im Lande und hier in Bielefeld erwarten wir stündlich auch Unruhen. Gestern brachen solche in Hannover aus, infolge dessen wurde der Eisenbahnverkehr von und nach dort eingestellt, so dass man Genaueres nicht erfahren kann. Hier sind seit heute früh der Bahnhof, die Post und andere öffentliche Gebäude unter militärischen Schutz gestellt. Da aber das hiesige Reservebataillon in der Hauptsache aus Elsässern besteht, so erscheint der Schutz etwas problematisch. Wenn die sozialdemokratischen Führer hier ihre Leute nicht fest in der Hand haben, || kann es leicht zu unangenehmen Störungen kommen. Wir haben eine starke und recht unruhige Arbeiterschaft. Hoffentlich aber bleibt sie bei Vernunft und begnügt sich mit unschuldigen Demonstrationen gegen S. M. und andere Leute.

Waffenstillstand und Frieden werden wir nun ja wohl bekommen, aber um welchen Preis! Tausende von Männern leben noch, die geholfen haben das deutsche Reich zu gründen, und nun müssen sie den schmachvollen Untergang des Werkes Bismarcks noch erleben. Also noch nicht eine Generation hat das Reich gedauert, schon ist das Erbe der Männer von 1870/71 verschleudert und wir rasen dem Abgrund zu, aus dem es kaum eine Rettung gibt. Jetzt, wo selbst das Heer revoltiert, ist alles verloren und wir müssen auf alle Bedingungen der Feinde eingehen. Wenn schon die Bedingungen des Waffenstillstandes schwer sein werden, denn sie bringen uns feindliche Besatzungen in die Rheinstädte, um wieviel härter werden dann die eigentlichen Friedensbedingungen ausfallen. Kleine Vergünstigungen werden wir viel-||leicht durch Amerika erhalten, weil es nicht dulden darf, dass Frankreich und England uns gegenüber zu mächtig werden, oder wir als guter Käufer und Lieferant zu sehr geschwächt werden.

Mich greifen diese Dinge seelisch stark an und ich denke mit Schaudern daran, welche Rolle unsere Landsleute fortan draussen in Auslande spielen werden. Der Deutsche wird Jahrzehnte lang verachtet sein im Auslande und nur die niedrigsten und schlechtest bezahlten Arbeiten wird er bekommen. Der Auslandshandel ist dahin und wird sobald sich nicht wieder erheben können. Für 100 Jahre werden wir für England arbeiten müssen. Wie bedaure ich die junge Generation die einer traurigen Zeit entgegen geht. Wir haben doch in einer aufsteigenden stolzen Zeit des deutschen Volkes gelebt und haben, wenn uns die Gegenwart drückt, doch eine Erleichterung in den schönen Erinnerungen an die Vergangenheit.

Der schwere Druck, unter dem wir fortan stehen werden, wird sich zuerst auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft bemerkbar machen. Für grosse Kul-||turarbeiten wird kein Geld vorhanden sein, da in erster Linie unser wirtschaftliches Leben wieder aufgerichtet werden muss und da wir sicher gewaltige Summen an unsere Gegner zu bezahlen haben werden. Oder da wir das bare Geld dazu nicht haben, so werden wir dafür arbeiten müssen. Arbeiten zu einem so niedrigen Lohnsatz, dass uns eben das Leben bleibt.

Das Schicksal unsers Volkes ist entsetzlich, aber leider nicht unverdient. Möchte die Gegenwart der heranwachsenden Generation wenigstens zur Lehre dienen, damit politisch reifer und würdevoller wird. Die nächsten Tage werden uns ja zeigen, wie tief wir gefallen sind.

Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen, lieber Herr Professor? Meine Frau erholt sich von den Folgen ihrer Operation langsam, mir selbst geht es gut. Indem ich Ihnen noch einmal meinen besten Dank sage, verbleibe ich mit herzlichen Grüssen

in alter Treue

Ihr dankbarer Schüler

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
08.11.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6192
ID
6192