Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 22. August 1916
DR. WILHELM BREITENBACH
BIELEFELD, 22.8.1916
Zastrowstr. 29.
Sehr geehrter Herr Professor!
Nachdem ich von meinem Ferienausflug zurückgekehrt bin, drängt es mich Ihnen zu sagen,
dass ich mich sehr gefreut habe, Sie so wohl anzutreffen. Wer in Ihrem Alter noch imstande
ist, in wenigen Stunden ein Aquarell zu malen, dessen Hand und Auge ist noch vortrefflich.
Ihre ungebrochene Freude an den Schönheiten unserer Mutter Natur hilft Ihnen über viele
Stunden hinweg und verschafft Ihnen doch einigen Ersatz für die früheren Wanderungen in der freien Natur.
Es war mir eine aufrichtige Freude, die neuen Räume des Archivs besichtigen zu können.
Dr. Schmidt hat schon tüchtig darin gearbeitet und man kann schon über den reichen Inhalt
einen Ueberblick gewinnen. Freilich haben sie ja noch viele und wertvolle Sachen in Ihrem Hause und es sind wohl gerade die persönlichsten, die später das Archiv am wertvollsten machen.
Dass ich jederzeit bereit bin, an den geplanten Arbeiten des Archivs mich mit ganzer Kraft zu beteiligen, || wissen Sie, ich will es Ihnen hiermit aber noch einmal bestimmt versichern.
Sie können in dieser Beziehung unbedingt auf mich zählen.
Ueber die Aufgaben des Archivs habe ich mir ganz bestimmte Vorstellungen gebildet, die ich z. T. auch schon mit Dr. Schmidt besprochen habe. Vor allem muss es eine allgemeine
Bezeichnung haben, bei der aber auch Ihr Name als des Begründers nicht fehlen darf. Das
Archiv muss eine Sammelstelle für alles auf dem Gesamtgebiete der Entwickelungslehre neu Hervorgebrachte werden und in einer Vierteljahrs-Zeitschrift über die wichtigsten Fortschritte berichten. Das Archiv soll eine allgemeine Genetik in dem von Ihnen bezeichneten Umfange bearbeiten. Hoffentlich treffen Sie selbst auch Bestimmungen über die Bearbeitung Ihres literarischen Nachlasses, die Herausgabe Ihres Briefwechsels u. dgl. Ueberhaupt möchte ich Ihnen dringend ans Herz legen, möglichst eingehende Bestimmungen Ihrerseits betreffs der Aufgaben des Archivs schriftlich zu fixieren. Solche Missstände, wie sie nach der Uebergabe der Phyletischen Museums leider erleben mussten, dürfen sich doch nicht wiederholen. Sie würden ja nach || Ihrem Tode noch ungleich schlimmer werden und könnten die ganze Aufgabe und den Zweck des Archivs in Frage stellen.
Eine der wichtigsten Aufgaben des Archivs sollte auch die Bearbeitung und Herausgabe eines Katalogs der Bücherei sein, durch den erst der Wert der Sammlung übersehen werden kann. Wer später in dem Archiv irgend eine Arbeit machen will oder wer die Schätze des Archivs literarisch benutzen will, muss einen solchen Katalog unbedingt haben.
Hoffentlich gelingt es mit der Zeit, für das Archiv so viele Mittel flüssig zu machen, dass es auch nach aussen hin leistungsfähig wird und dass es dann als eine Art Mittelpunkt für den Monismus in unserem Sinne wirken kann. Um das Archiv sollte sich nach dem Kriege eine neue monistische Bewegung kristallisieren, die die Auswüchse des Monistenbundes der letzten Jahre vermeidet. Viele der Elemente, die im Monistenbunde sich vorzudrängen
verstanden haben, müssen ferngehalten werden, wenn nicht die ganze Bewegung verflachen soll.
Vor einigen Tagen hörte ich von meinem Bruder einen Tatsache, die zeigt, dass man in
massgebenden Kreisen || noch mit einer langen Dauer des Krieges rechnet. Der Kriegsminister hat von Walzwerken, die den Granatenstahl herstellen, eine Erhöhung der Produktion um 1/3 des bisherigen Quantums verlangt. Infolgedessen bauen viele Walzwerke,
die bisher schwere Bleche und dicke Wellen gewalzt haben, ihre Maschinen so um, dass sie den Wünschen des Ministers nachkommen können. Mein Bruder hat die Nachricht persönlich von dem Direktor eines der grössten westfälischen Walzwerke und ist selbst an diesen Umbauten beteiligt, da er u. a. Walzwerkseinrichtungen baut. Auch andere grosse Eisenwerke, die Kriegsartikel herstellen, rechnen noch mit einer langen Dauer des Krieges
und richten sich ganz darauf ein. Der Arbeitermangel auf den Werken wird immer grösser und man sieht fast nur alte Leute und Lehrjungen. Die Eisenindustrie ist übervoll beschäftigt, nicht nur für den Krieg.
Mit herzlichen Grüssen
Ihr treu ergebener
Schüler
Dr. W. Breitenbach