Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 6. Juni 1915

DR. WILHELM BREITENBACH

BRACKWEDE, 4.6.1915

Sehr geehrter Herr Professor,

Der Eintritt Italiens in den Kreis unserer Feinde, der ruchlose Treuebruch dieses Landes, das Sie so lange Jahre geliebt haben, wird auch Sie schmerzlich berührt haben. Mit Italien verbinden Sie so viele und langjährige Erinnerungen, dort haben Sie so viele Bekannte und Freunde, dass es für Sie eine grosse Enttäuschung gewesen sein muss, zu sehen, wie nun einige fanatische Deutschenhasser das Land in ein Abenteuer stürzen, das für Italien nur unheilvoll enden kann. Wenn erst unsere und unserer Verbündeten Heere in die italienischen Städte eingerückt sein werden, so kann es nicht ausbleiben, dass zahlreiche wertvolle und durch ihr Alter geheiligte Kunstwerke zerstört werden, so sehr man das auch bedauern mag. Aber alle diese Kunstwerke sind im Grunde genommen doch nicht so viel wert wie die Existenz unseres Volkes, um die wir in diesem gewaltigsten aller Kriege kämpfen. Gerade der Krieg gegen Italien sollte energisch und hart geführt werden, damit diesem undankbaren Volke für alle Zeiten die Lust vergeht, noch einmal mit uns anzubinden. Wie grotesk die Verblendung weiter Kreise des Volkes ist, zeigt die neuerliche Bemerkung des Herrn Salandra, der sich nicht scheut, öffentlich zu behaupten, die Kultur Italiens sei der Deutschlands um 20 Jahrhunderte voraus. Dass unser Volk den neuen Feind jenseits der Alpen nicht fürchtet, zeigt die Ruhe, mit der der Abfall Italiens vom Dreibunde bei uns aufgenommen worden ist. Die jüngsten erfreulichen Erfolge in Galizien werden wahrscheinlich demnächst er-||lauben, eine grössere Heeresgruppe aus dem Osten wegzunehmen und entweder an die Westfront oder nach Tirol zu senden, damit auch an diesen Stellen entscheidende Schläge vorbereitet werden können.

Die Aussichten auf einen baldigen Frieden sind freilich immer geringer geworden, die Hoffnung aber, dass wir schliesslich doch alle unsere Feinde niederringen werden, ist nur gewachsen und das Volk hat volles Vertrauen zur Leitung des Heeres. An die entsetzlichen Opfer des Krieges darf man freilich nicht denken, ebenso wenig an die ungeheuerlichen Schädigungen, die die menschliche Kultur durch diesen Krieg erleidet.

Die internationalen Beziehungen sind lange, lange Jahre, vielleicht für eine ganze Generation gestört, die Ausbrüche des Hasses selbst von Seiten hervorragender Gelehrten, wie z.B. Sir William Ramsay, gegen uns sind derartig, dass man sie nicht vergessen und verzeihen kann. Ich glaube auch, dass die ausländische Wissenschaft die deutsche mehr braucht wie die deutsche die fremde.

Ich hoffe, verehrtester Herr Professor, daß Sie die schmerzliche Aufregung, die der Tod Ihrer Gemahlin mit sich gebracht hat, einigermaßen überwunden haben und dass Sie sich guter Gesundheit erfreuen, soweit es die Umstände gestatten.

Ich habe mich an meine neue Lehrtätigkeit an der Oberrealschule in Bielefeld schnell gewöhnt und die Beschäftigung mit der Jugend macht mir viel Vergnügen. Es interessirt mich sehr, jetzt einmal eine ganze Anzahl neuerer Schulbücher zu prüfen, um zu sehen, wie weit sie sich an die Entwicklungslehre angeschlossen haben, sei es ganz offen oder mehr versteckt. Ich habe schon einige recht gute Bücher gefunden, von deren Existenz ich || bisher nichts wusste.

In Bielefeld soll auch für die Prima ein praktischer biologischer Kursus eingerichtet werden. Es sind die nötigen Instrumente etc. bereits angeschafft worden, die Ausführung des Planes ist nur durch den Krieg einstweilen verschoben worden. Es wird augenblicklich ein besonderes Arbeitszimmer eingerichtet und mit allem nötigen ausgestattet.

Wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften sehe ich seit längerer Zeit beinahe gar nicht mehr, nur die amerikanischen Sendungen kommen regelmässig, wenn auch mit etwas Verspätung, an und ich erfreue mich immer an den tapferen Aufsätzen von Dr. Paul Carus in ‚The Open Court.’

An der Schule habe ich jeden Vormittag 4 Stunden zu geben, am Nachmittag habe ich frei und kann dann meine wenigen geschäftlichen Angelegenheiten erledigen, die es jetzt während des Krieges zu erledigen gibt.

Von Dr. Heinrich Schmidt habe ich lange nichts gehört, ich hoffe aber, dass es ihm gut geht, soweit das jetzt eben möglich ist.

Mit den besten Grüssen

Ihr stets treu ergebener

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
04.06.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6165
ID
6165