Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 28. November 1912

Brackwede, 28.11.1912

Sehr geehrter Herr Professor!

Ihre Ansicht über den Hamburger Fall vermag ich auf Grund der vielen mir vorliegenden Mitteilungen nicht ganz zu teilen. Die Einzelfrage bezügl. des Dr. Schlüter, d. h. ob dieser Impfgegner oder Anhänger der Naturheilkunde ist u. dgl., scheidet für mich bei der Beurteilung des Falles ganz aus. Uebrigens haben die Hamburger doch die Stellung des Dr. Schlüter zu den genannten Fragen schon vor seiner Wahl in den Vorstand gekannt. Warum also haben sie ihn gewählt? Auch nach dem vom Vorstand der Hamburger Ortsgruppe veröffentlichten Wortlaut des Beschlusses darf Niemand dem Vorstand angehören, „der eine von einer Mehrzahl von Vorstandsmitgliedern vertretene wissenschaftliche Anschauung öffentlich agitatorisch bekämpft.“ Eine solche Auffassung ist anmassend und ist nichts anders als eine Zensur nach Art der römischen Kirche. Mit ihr kann man verhindern, daß die besten und überzeugtesten Monisten im Vorstand sitzen, sie brauchen ja nur in irgend einem Punkte anderer Meinung zu sein wie andere Herren und diese Meinung öffentlich zu vertreten.

Dass übrigens die Zensur im Monistenbund um sich greift, mögen Ihnen folgende Fälle erläutern. 1. Dem Verlag des neuen Vogtschen Buches: „Der absolute Monismus“ war es gelungen, dem „Monistischen Jahrhundert“ einen Prospekt über das Buch beizugeben, vermutlich ohne Vorwissen der Redaction oder des Herausgebers. Der von zwei Freunden Vogts unternommene Versuch, das Buch in der Bundeszeitschrift zu besprechen, ist von der Redaction ohne Angabe eines Grundes abgelehnt worden. Diese beiden Herren waren Herr Ewalt Fincke in Jena und Herr F. W. Gerling in Wiesbaden. Also ein || hervorragendes monistisches Buch darf in der Bundeszeitschrift nicht besprochen werden, weil es von der Anschauung des Bundesvorsitzenden hier und da abweicht. Ist das nicht päpstlicher als der Papst? 2. Der Verlag meiner Zeitschrift will dem „Monistischen Jahrhundert“ demnächst einen Prospekt über die N.W.A. beilegen und fragte jüngst beim Verlag in München nach den Kosten etc. Er erhielt die Antwort, dass die Beilagen der Prüfung der Redaction unterlägen und dass der Prospekt erst der Redaction zur Genehmigung vorgelegt werden müsse. Vermutlich wird man den Prospekt der monistischen ‚Neuen Weltanschauung’ nicht annehmen. Wenn solche Vorkommnisse mehr vorkommen und öffentlich bekannt werden, was ja gar nicht zu vermeiden ist, wird der Monistenbund in vielen Kreisen an Sympathie verlieren. Ich bin überzeugt, dass schon diese Hamburger Affaire ihm geschadet hat.

Dass Dr. H. Schmidt von seiner Frau geschieden ist und dass er sich wieder verlobt hat, war mir eine überraschende Neuigkeit. Ich wünsche ihm in der neuen Ehe mehr Glück und würde mich freuen, wenn er eine so liebe, brave und tüchtige Frau und Gefährtin bekäme, wie es mir beschieden gewesen ist.

Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit und herzlichen Grüssen bin ich

Ihr treu ergebener

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
28.11.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6120
ID
6120