Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 21. Januar 1909

NEUE WELTANSCHAUUNG

MONATSSCHRIFT FÜR KULTURFORTSCHRITT …

AUF NATURWISSENSCHAFTLICHER GRUNDLAGE

REDAKTION: DR. W. BREITENBACH, BRACKWEDE I. W.

GESCHÄFTSSTELLE: STUTTGART

BRACKWEDE, 21.1.09

Sehr geehrter Herr Professor!

Es wird mir mitgeteilt, daß Brass in einem Vortrag in Sachsen geäußert haben soll, „das Maß von Haeckels Sünden sei gerüttelt voll, eine Anzahl Universitätsprofessoren wären der Ansicht, daß seinem Treiben Einhalt getan werden müße und ein Erster Staatsanwalt habe die Ansicht ausgesprochen, Haeckels Verleumdungen und Beleidigungen seien hinreichend, um eine Anklage begründen zu können.“ Was an der Sache richtig ist, weiß ich nicht, jedenfalls sieht sie aber Brass || ähnlich. Haben Sie etwas ähnliches gehört?

Von den verschiedensten Seiten laufen bei mir Anfragen ein, ob die Neue Welt Anschauung denn nicht einmal einen Beitrag von Ihnen bringe. Es fällt auf, daß Sie die einzige Zeitschrift, die sich rückhaltlos auf Ihre Seite stellt, sozusagen „schneiden“. Auch Herrn Lehmann gegenüber sind solche Bemerkungen gemacht worden. Sie würden unsere Position bedeutend stärken und uns die Arbeit, auch für Sie, erleichtern, wenn Sie uns einmal einen Beitrag geben wollten. Ich schlug Ihnen neulich vor, die geplante Darwin-Rede zuerst, vor der Buchausgabe, bei uns zu veröffentlichen, wenn || auch vielleicht etwas gekürzt. Diese Bitte möchte ich noch einmal wiederholen. Ein solcher Abdruck tut der nachfolgenden Buchausgabe in keiner Weise Abbruch und ist doch ein häufiges Vorkommnis. Sie selbst haben solche Zeitschriften-Vordrucke früher wiederholt gestattet. Eventuell würde ich den Vortrag auf unsere Kosten stenographisch aufnehmen lassen. Ich bitte Sie, verehrter Herr Professor, herzlichst, sich die Sache noch einmal zu überlegen und Ja zu sagen. Es fällt wirklich auf, daß wir Sie immer warm verteidigen und Sie kümmern sich scheinbar um uns nicht.

In der neuesten Nr. der „Neuen Metaphysischen Rundschau“ wird || behauptet, Prof. Pauly – München sei Okkultist, vom Neu-Larmarckismus Francé’s sei eine Hinneigung zum Okkultismus zu erwarten und Dr. Unold vom Vorstand des Monistenbundes scheine eine Anknüpfung des Monismus an den Okkultismus zu bieten. So also wird die Stellung Unolds beurteilt!

Ende voriger Woche habe ich in Krefeld einen stark besuchten Vortrag: „Fünfzig Jahre Darwinismus“ gehalten, an [die] sich eine zwei Stunden lange Diskussion knüpfte, die sehr interessant war und die mir auch Gelegenheit gab, die ganze Embryonen-Geschichte || eingehend zu erörtern. Es gelang mir ziemlich leicht, die Versammlung von der Haltlosigkeit der Brass’schen Vorwürfe zu überzeugen. Am längsten wurde über Mimikry diskutiert, zum Glück hatte ich kurze Wochen vorher das neue Buch von Poulton „Essay on Evolution“ gelesen und war daher auf dem Laufenden. Ich fand lebhafte Unterstützung bei einem wissenschaftlichen, gebildeten Entomologen, der über 10 Jahre in || den Tropen gelebt und eine Menge guter Beobachtungen über Mimikry u. dgl. gemacht hat.

Ich selbst habe 1½ Stunden lang gesprochen und mich dann noch lebhaft an der Diskussion beteiligt. Der Abend war einer der interessantesten, die ich in dem nun etwa 580 Mitglieder starken Krefelder Verein verlebt habe.

Ich hoffe, daß Sie sich von dem Unfall wieder vollständig erholt haben und bleibe mit herzlichen Grüßen

Ihr treu ergebener Schüler

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
21.01.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6064
ID
6064