Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Odenkirchen, 20. September 1895
WILH. BREITENBACH
DR. PHIL.
ODENKIRCHEN, 20. Sept. 95
Sehr geehrter Herr Professor!
Vor kurzem habe ich die Lectüre des neuen Buches von Dr. Haacke: „Die Schöpfung des
Menschen“ beendet. Was ist das für ein sonderbares Gemisch von descendenztheoretischen
Gedanken und Mysticismus. Die Aufstellung des Gesetzes vom Gleichgewicht und der Versuch, die ganze Welt daraus erklären zu wollen, ist in meinen Augen doch eine ganz verkehrte und verfehlte Geschichte. Was soll man zu || der wunderlichen Ansicht
sagen, daß die Selectionstheorie zur Einschachtelungstheorie führe? Merkwürdig ist auch
die Meinung Haackes, der Stammbaum des Menschen könnte unabhängig von dem der
andern Thiere verlaufen, so daß eine Verwandtschaft mit den Affen nicht anzunehmen sei.
Diesen Gedanken hat ja auch Hamann als höchste Weisheit verkündet. Beide beten wol
dem alten Snell nach, an dessen Vorträgen ich mich freilich s. Z. vergebens zu erbauen
gesucht habe.
Geärgert habe ich mich über || einige mehr oder minder boshafte Ausfälle gegen Sie in
dem Haacke‘schen Buch. Gerade das hätte ich von Haacke am wenigsten erwartet. Ich weiß nicht, ob das Buch irgend welche Wirkung von Belang haben wird, hoffe es nicht.
Meine Überzeugung, die sich mit der Ihrigen deckt, hat es nicht im mindesten erschüttert.
Hoffentlich sind Sie von Ihrem Unfall wieder ganz hergestellt, verehrtester Herr Professor.
Ist der II. Band Ihrer Systematischen Phylogenie schon erschienen? Ich bin sehr gespannt auf denselben. In diesem Winter werde ich wieder || einige Vorträge halten, u. a. auch über Planktologie. Von Neapel und Triest habe ich Proben von Plankton zu Demonstrationszwecken erhalten.
Haben Sie nicht einige kleine Proben von anderen Stellen übrig, aus denen ich mir Präparate
herstellen kann?
Mit vorzüglicher Hochachtung bleibe ich, wie stets,
Ihr ergebenster dankbarer Schüler
Dr. W. Breitenbach