Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Johannes Thomae (Dekan), Jena, 6. September 1898

Bericht von Professor | Ernst Haeckel über die | Wiederbesetzung der vacanten | Ritter-Professur für Phylogenie.

Jena 6. September 1898.

Hochgeehrter Herr Decan!

Für die Wiederbesetzung der „Ritter-Professur für Phylogenie“, welche durch die Berufung von Prof. Kükenthal nach Breslau erledigt ist, erlaube ich mir nachstehend meine Vorschläge zu machen. Es geschieht dies erst jetzt, weil ich so eben erst von dem Internationalen Zoologischen Congresse in Cambridge zurückgekehrt bin, und weil ich die dort gegebene Gelegenheit, vielseitige Erkundigungen einzuziehen, zweckmäßig benutzen wollte. Dabei haben sich die nachstehend vorgeschlagenen drei außerordentlichen Professoren als am meisten geeignet herausgestellt. ||

I. Heinrich Ernst Ziegler, 40 Jahre alt (geb. 1858 zu Freiburg i/B.) studirte Mathematik u. Naturwissenschaft in Lausanne unda Freiburg i/B., bestand 1881 in Karlsruhe das Examen für das höhere Lehramt mit dem Praedicat „vorzüglich befähigt“ und promovirte in Freiburg ebenfalls mit der ersten Note. Von 1882–86 war er Assistent am Zoologischen Institut in Strassburg i/E., wo er sich auch 1884 habilitirte. 1887 übernahm er die Assistenten-Stelle bei seinem früheren Lehrer, Prof. A. Weismann in Freiburg und wurde dort 1891 zum Prof. Extraordinarius ernannt. Im Winter 1892/93 wurde ihm an der technischen Hochschule in Karlsruhe die Stellvertretung des erkrankten Ordinarius übertragen. Unterstützt mit Reise-Stipendien von der badischen Regierung und der Berliner Academie der Wissenschaftenb unternahm Ziegler mehrmals längere Forschungsreisen an die Meeresküsten (nach Trieste, Helgoland und Neapel). ||

Die academischen Vorlesungen von Ziegler erstreckten sich im Laufe von 14 Jahren über einen großen Theil der allgemeinen und besonderen Zoologie, namentlich aber der vergleichenden Anatomie und Ontogenie. Auch hat er das mikroskopische und zootomische Practicum mehrere Jahre hindurch geleitet. Seine zahlreichen Arbeiten betreffen vorzugsweise Entwickelungsgeschichte und Histologie (speciell Ontogenie der Fische, Würmer und Sternthiere); sie zeichnen sich sowohl durch klare und sorgfältige Darstellung der beobachteten Thatsachen aus, wie durch kritische Vergleichung und umsichtige Reflexion.

In weiteren Kreisen ist Ziegler durch einige vergleichende-psychologische Untersuchungen (über Instinct etc.) bekannt geworden, sowie durch eine populäre Schrift (1894), in welcher er (– gegen Bebel –) das Verhältniß der Naturwissenschaft zur Social-Demokratie erläutert und die principiellen Irrthümer der letzteren vom Standpunkte des Darwinismus trefflich kritisirt. ||

Professor H. E. Ziegler ist bereits 4 mal (1889 in Dorpat, 1893 in Innsbruck, 1896 in Halle, 1898 in Rostock) für eine ordentliche Zoologische und Histologische Professur in Vorschlag gebracht worden, hat aber älteren Candidaten nachstehen müssen. Sein persönlicher Charakter, wie sein Fleiß und Lehrtalent, werden von competenten älteren Collegen auf das Wärmste gelobt. Persönlich habe ich Ziegler erst jetzt (im August dieses Jahres) kennen gelernt und dabei den vortheilhaftesten Eindruck gewonnen, sowie die Überzeugung, daß er unter den disponiblen Candidaten am meisten geeignet ist, die vacante Ritter-Professur und die damit verbundene Zootomische Prosectur an hiesigen Zoologischen Institute in erwünschter Weise zu vertreten. ||

II. Ludwig Hermann Plate, 36 Jahre alt (geb. 1862 in Bremen), studirte zuerst (1882) hier in Jena, später in Marburg und München, habilitirte sich 1888 in Marburg, siedelte aber 1896 nach Berlin über, wo er 1897 zum Extraordinarius ernannt wurde, mit dem Lehrauftrage, an der Thierärztlichen Hochschule Vorlesungen und Prüfungen in Zoologie abzuhalten. Das dort bezogene Gehalt ist dem hier zu erwartenden gleich; wirc glaubend nicht, daß Prof. Plate seine dortige Stellung mit der hiesigen vertauschen wird, obgleich er sich eventuell dazu bereit erklärt hat. Im Übrigen gehört Plate zu dene tüchtigsten Schülern f und hat sich durch eine zweijährige Reise nach Chile (1892/93) einen weiten Gesichtskreis erworben; seine fleißigen und trefflichen Arbeiten betreffen größtenteils die vergleichende Anatomie der Mollusken. ||

III. Oswald Seeliger, 40 Jahre alt (geb. 1858 in Mähren), studirte in Jena, Leipzig, Wien und Berlin, habilitirte sich 1888 in Berlin und wurde dort 1896 zum Extraordinarius ernannt. Seine fleißigen Arbeiten betreffen größtentheils die Ontogenie der Invertebraten, namentlich der Tunicaten und Echinodermen; sie stehen hinsichtlich der sorgfältigen Untersuchung und Darstellung der beobachteten Thatsachen denjenigen der beiden vorher genannten Candidaten nicht nach, lassen aber die Fähigkeit zu kritischer Vergleichung und zum Aufsuchen allgemeiner Beziehungen weniger hervortreten. Auch in Beziehung auf Vielseitigkeit und philosophische Betrachtungsweise stehen Seeliger und Plate hinter Ziegler bedeutend zurück. ||

Außer den vorstehend empfohlenen drei Extraordinarien sind noch mehrere jüngere Privatdocenten für die vacante Ritter-Professur in Vorschlag gebracht worden, so Dr. Rawitz in Berlin, Dr. Maas in München, Dr. Bürger in Göttingen, Dr. Brandes in Halle, Dr. Borgert in Bonn u. A. Indessen dürfte Keiner von ihnen den Vorzug vor den drei erstgenannten verdienen, ebenso auch nicht der in mancher Beziehung empfehlenswerte Prof. Bela Haller in Heidelberg und Prof. Samassa in München.

Da es sehr wünschenswerth ist, die vacante Ritter-Professur baldigst wieder zu besetzen, ersuche ich Sie, hochgeehrter Herr Decan, diesen Bericht möglichst bald (per missive) durch die hohe philosophische Facultät befürworten und an den illustren Senat und die hohen Regierungen gelangen zu lassen.

Hochachtungsvoll

Prof. Dr. Ernst Haeckel.

a von der Hand Georg Goetz’ gestr.: u; eingef.: und; b von der Hand Georg Goetz’gestr.: d. W.; eingef.: emie der Wissenschaften; c von der Hand Georg Goetz’ gestr.: ich; eingef.: wir; d von der Hand Georg Goetz’ korr. aus: glaube; evon der Hand Georg Goetz’ gestr.: meinen; eingef.: den; f von der Hand Georg Goetz’ eingef: Ernst Haeckels

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.09.1898
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
UAJ
Signatur
M 623, Bl. 25r-28r
ID
50467