Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Kuno Fischer (Prorektor), [Jena, 13.11.1868]

Gutachten der philosophischen

Fakultät über die Wiederbesetzung

des erledigten Lehrstuhls für

Botanik

Magnifice Academiae Prorector!

In Betreff der Wiederbesetzung des erledigten Lehrstuhls für Botanik erlaubt sich die philosophische Facultät folgende Vorschläge zu machen:

Vor allem erscheint es ihr wünschenswerth, die erledigte Lehrstelle durch einen Professor Ordinarius wieder zu besetzen, welcher die Botanik in ihrem ganzen Umfange und der jetzigen Stufe ihrer Ausbildung entsprechend vollständig zu vertreten vermag. Die Facultät kann für diese ordentliche Professur nur einen Candidaten vorschlagen, den jetzigen Professor der Botanik in Würzburg, Dr. Sachs. Die selbstständigen Untersuchungen dieses Forschers betreffen vorzugsweise das Gebiet der Pflanzen-Physiologie und sind allgemein als vortrefflich anerkannt worden. || Außerdem hat derselbe aber in neuester Zeit ein Lehrbuch der Botanik veröffentlicht, welches zeigt, daß er auf dem gesammeten Gebiete der Pflanzenkunde wohl bewandert, und mit den verschiedenen Zweigen nicht allein der Physiologie, sondern auch der Morphologie und Systematik vertraut ist.

Seit dem Erscheinen von Schleiden’s Grundzügen der wissenschaftlichen Botanik ist das Lehrbuch von Sachs der erste gelungene Versuch, das Gebiet der Pflanzenkunde in seinem ganzen Umfang und im inneren Zusammenhang der verschiedenen Theile darzustellen, und verdient schon deßhalb, abgesehen von der trefflichen Form der Behandlung, volle Anerkennung. Da Aussicht vorhanden zu sein scheint, daß Professor Sachs, der erst vor Kurzem von Freiburg nach Würzburg übergesiedelt ist, einem Rufe nach Jena Folge leisten würde, so empfiehlt die Facultät die Berufung desselben als Ordinarius in erster Linie.

Andere Persönlichkeiten neben Professor Sachs für die ordentliche Professur in Vorschlag || zu bringen, unterläßt die Facultät. Denn von denjenigen, welche neben ersterem noch genannt werden könnten, läßt sich theils mit Bestimmtheit voraussehen, daß sie einem Rufe nach Jena nicht folgen werden; theils sind dieselben nicht in dem Maaße zu voller Vertretung der ordentlichen Professur in ihrem ganzen Umfang geeignet, daß ihre Berufung dem nachfolgenden Vorschlage vorzuziehen wäre.

Dieser Vorschlag geht dahin, im Falle die Berufung des Professor Sachs keinen Erfolg haben sollte, den ordentlichen Lehrstuhl für Botanik einstweilen unbesetzt zu lassen, und die Vertretung dieses Faches in der Weise zu theilen, daß der Professor Extraordinarius Dr. Hallier, welchen die Facultät zur wohlwollenden Berücksichtigung seiner Interessen empfiehlt, verpflichtet würde, die systematische und medicinisch-pharmaceutische Botanik zu lesen – und daß zweitens daneben für Vorlesungen über physiologische Botanik ein jüngerer, durch entsprechende Leistungen dazu als befähigt qualificierter Botaniker als Extraordinarius berufen würde. Für diese Stellung bietet sich eine geeignete Persönlichkeit in dem Dr. phil. Eduard Strasburger, welcher seit zwei Jahren als Privatdocent der Botanik an der Universität in Warschau ist. Derselbe hat seine Studien theils in Frankreich, theils in Deutschland gemacht, und vor seiner Habilitation in Warschau mehrere Semester hier in Jena, zuletzt speciell in dem Laboratorium von Professor Pringsheim, gearbeitet. Während dieser Zeit ist er den meisten naturwissenschaftlichen Mitgliedern der philosophischen Facultät näher getreten, hat zum Theil in deren Laboratorien selbstständig gearbeitet, und hat auf dieselben übereinstimmend den Eindruck eines talentvollen, von dem lebhaftesten Forschungsdrange und wissenschaftlichen Eifer beseelten jungen Naturforschers gemacht. Die bisherigen Untersuchungen des Dr. Strasburger betrafen das Gebiet der Pflanzenphysiologie und der Zellenlehre. Veröffentlicht hat derselbe || bisher: Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Spaltöffnungen und über die Befruchtung der Farnkräuter.

Diese Arbeiten behandeln ihr Object in sehr gründlicher und sorgfältiger Weise, und lassen erkennen, daß Doktor Strasburger sowohl schwierige und feine Beobachtungen anzustellen, als auch dieselben reflectirend zu verwerthen befähigt ist. Da außerdem über die Persönlichkeit desselben nur Vortheilhaftes bekannt ist, und da derselbe voraussichtlich einer Berufung als Professor Extraordinarius nach Jena mit Freuden Folge leisten würde, so glaubt die Facultät für das in zweiter Linie vorgeschlagene, eventuelle Provisorium keine geeignetere Persönlichkeit vorschlagen zu können.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.11.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
UAJ
Signatur
M 406, Bl. 81r–83r
ID
50069