Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Messina, 8. November 1859

An Anna

Messina 8.11.59.

So besonders lieb und herzig ist der Brief, mein bester Herzensschatz, mit dem Du mich heut beglückt hast, daß ich mich gleich heut Abend hinsetzen muß, um Dir dafür einen herzinnigen Dankesgruß zu schicken. Da habe ich wieder recht warm und voll all die reiche Liebe meines herrlichen Mädchens, die mich so unendlich glücklich macht, daß mir das Leben jetzt erst, durch Deinen Besitz, lieb und lebenswerth wird. Liebchen, ich habe Dir vielleicht durch meinen letzten Brief, in welchem ich Martens um seine große Reise ein wenig beneidete, oder vielmehr bedauerte, ihn nicht begleiten zu können, das Herz wieder etwas schwer gemacht? Das mußt Du nun diesmal Deinem wilden Erni schon verzeihen, zumal jetzt wo er nach dem vielen Umherstreifen in der reichen Natur des Südens Wanderlust und Naturleben mit all ihren Reizen so recht ausgekostet hat. Was ist aber alles Wandern und Streifen, alle Tropennatur und Urwildniß, gegen den Besitz einer so lieben, so reich beglückenden, so tief verwandten Seele, wie ich in Dir bestem Schatze habe? Ach, Änni, so tief und innig, so rein und wahr fühle ich in Deinen heutigen Zeilen wieder die volle beglückende Liebe, die durch kein fremdes Zwischenglied getrennte, innigste Seelengemeinschaft, daß ich meine, durch diese Liebe ganz allein wäre ich schon der reichste glücklichste Mensch der Erde. Ja liebster Schatz, wie nüchtern und dürftig, wie nackt und grau wäre wohl dies Leben ohne Dich; jetzt, seit ich Dich besitze und mit Deiner lieben, prächtigen Seele untrennbar geistig verbunden bin, kann ich mir kaum noch denken, wie ich früher hin ohne Dich habe leben mögen: durch Dich hat Alles jetzt erst Farb und Glanz, In Dir erschließt sich erst mein Leben ganz! Ich möchte wohl wissen, wie meine italienische Reise, die doch schon lange vor unserer Verlobung beschlossen war, wohl ausgefallen sein würde, wenn wir uns nicht gefunden hätten! Ich bin überzeugt daß ich nicht die Hälfte der Früchte davon geerntet hätte, die ich jetzt mit heim bringe; sehe ich doch jetzt Alles für Dich mit an, und im Gedanken an Dich geniesse ich alle Herrlichkeit der Natur und Kunst doppelt, nehme alles doppelt warm und frisch in mich auf. || Ich meine Du müßtest es meinen Briefen wohl angefühlt haben, wie Du überall darin lebst und webst, wie der stete Gedanke an Dich mir alle Erlebnisse poetisch verklärt hat. Und wie fühle ich es jetzt wieder bei der Arbeit, wie Du bester Schutzengel mir beständig hülfreich und ermuthigend zur Seite stehst und die Kräfte neu stärkst, die unter dem Gewichte der gewaltigen, ja fast übermächtigen Aufgabe unterliegen wollen. So kam mir Dein prächtiger frischer Brief grade heut besonders als ein rechter treuer Freund und Bundesgenosse. Der alte Kleinmuth und die hoffnungslose Verzagtheit, welche mich früher zu allen größeren Arbeiten so unfähig machten, wollten auch heute ganz wieder die Oberhand gewinnen, trotzdem Du sie nun schon so weit, weit zurückgetrieben hattest.

Von früh an saß ich heut vor einer solchen Fülle des herrlichsten Materials, eine wahre Mustersammlung der schönsten und merkwürdigsten Seethierchen aller Art (darunter auch ein Annelidchen, Alciope, das reizendste Geschöpf, das Du Dir unter den Seewürmchen denken kannst, ganz wie von reinem Krystall!) daß ich gar nicht wußte, wo und was anfangen. Ich nahm dies vor, nahm jenes vor, besah es, stellte es wieder weg, bewunderte einen Schatz nach dem andern unter dem Mikroskop: als ich aber nun recht anfangen wollte darin zu arbeiten und mich zu vertiefen, sank mir bald der Muth so, daß meine anfängliche

große Freude über die herrlichen Naturwunder in das grade Gegentheil umschlug. Bald fühlte ich nur zu lebhaft, wie ungenügend alles menschliche Streben, und ganz besonders meine schwache Kraft ist, um der Erkenntniß dieser großen Wunder auch nur einigermaßen Meister zu werden, wie weit all unsere Resultate hinter dem vorgesteckten Ziel zurückbleiben und wie schließlich das Erreichte im besten Fall doch nur jämmerlich Stümperwerk ist und in den meisten Fällen mehr Irrthum als Wahrheit enthält. Dazu kam nun noch das Bewußtsein meiner speciellen Ungenügendheit, der großen Lückenhaftigkeit meiner Kenntnisse und der Unfähigkeit, solch große Arbeit mit viel Erfolg anzugreifen. || So wurde ich zuletzt ganz traurig und verlor mich in einer langen Reihe speculativer Gedanken, die natürlich wesentlich negativer Natur waren und zuletzt mit völligem Nihilismus endigten. Ich trat vom Microscop an das Fenster und sah den leichten luftigen Wolken sehnsüchtig nach, die über die wundervoll beleuchteten Berge Calabriens dem lieben Norden zueilten. Es fuhr grade ein stattlicher englischer Dampfer aus dem Hafen direct nach Norden und wie gern wäre ich hinabgesprungen, um mit ihm fortzueilen. Die Heimath- und Liebes-sehnsucht packte mich doppelt gewaltig und ließ mir mein Arbeiten hier nur noch vergeblicher und unnützer erscheinen.

Da kam dann grade im rechten Moment als ein treuer Trost und Hoffnungsbote Dein lieber, lieber Brief geflogen, der den Sturm der aufgeregten Gefühle beschwichtigte, mit den lieben Hoffnungsbildern der glücklichsten Zukunft mir wieder Muth und Vertrauen einhauchte, und nachdem ich ihn dreimal mit immer wachsender Freude gelesen, mich so weit erfrischt hatte, daß ich die unterbrochene Arbeit im Gedanken an meine muthige starke Änni wieder aufnahm, mich munter in eines der schwierigsten Thierchen hinein guckte und dann auch noch schließlich am Ende der Tagesarbeit durch einen recht hübschen anatomischen Fund belohnt wurde. So liebstes bestes Mädchen bist Du auch bei der Arbeit mein guter Genius und gar oft muß Dein reizendes Lichtbild von seinem Standplätzchen auf den Arbeitstisch hinüberwandern, um die müden Augen seines Herren neu zu stärken. Viel mehr, als durch liebes gutes Beispiel, wirkst Du noch zum Gelingen der Arbeit mit durch die Gedanken an die hohe Bedeutung, welche grade die jetzt angegriffenen Arbeiten, von denen ich ja zunächst meine Erfolge und meine Stellung in der Naturforscherwelt zu hoffen habe, für das glückliche Gelingen unserer süßen, rosigen Zukunftshoffnungen haben. Der Gedanke „das thust du mit für deine Änni und je rascher du’s vollendest, desto früher wirst du mit ihr deine Hütte bauen können!“ ist ein gar mächtiger Sporn, der schon oft die sinkenden Hände und Augenlider wieder gehoben, ermuntert und zu frischem neuen Antrieb gekräftigt hat. Kommt also wirklich etwas Hübsches zu Stande aus diesen Untersuchungen, so hast Du liebstes Herz den besten und reichsten Antheil daran. || Ganz besonders hat mich auch in Deinem heutigen Briefe gefreut mein liebes treues Herz, das Du über mein Verhältniß zur Wissenschaft und Kunst als Lebensberuf und zu dem Plane, Landschaftsmaler zu werden, sagst. Der letzte war in der That nie so ganz ernstlich gemeint, daß ich an ein Umsatteln hätte denken sollen, zumal dazu doch das Talent nicht ausreichen würde. Nur meine ungemeine Lust und Liebe zur Sache ließ mich dieses Luftschloß bauen. Hätte aber das künstlerische Treiben Brodstudium werden soll so wäre ich dadurch gewiß nicht glücklich geworden, da in der Kunst der Gegensatz zwischen idealem Streben und realem Leben noch viel größer ist als in der Wissenschaft. Die schönste Beschäftigung für alle Mußestunden soll aber das dilettirende Landschaftern in Öl und Aquarell für meina ganzes Leben bleiben und soll uns beiden glücklichen Leutchen noch recht viel schöne Stunden bringen und festhalten. Gewiß citirst Du mir mit vollem Rechte das Gedichtb „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst“. Ich habe die Wc desselben so recht täglich während meiner Reise mit Allmers durchgeführt. Das Schönere, Reizendere ist gewiß die Kunst, weil sie ja die Natur im idealen Kleide unserer vergeistigenden Stimmung zeigt. Das Höhere, weil Wahrere bleibt aber doch die Wissenschaft. Beide zusammen aber, das Wahre und das Schöne, geben in ihrer Vereinigung das Gute, welches sich im realen Leben offenbaren muß! – Das, mein liebstes Herz, denk ich wollen wir auch für unser künftiges gemeinsames Leben festhalten und, indem wir das Wahre in wissenschaftlichen Arbeiten und das Schöne im künstlerischen Genießen harmonisch zu dem Guten in unserm ganzen Gesammtleben zu vereinigen suchen, uns hier schon auf Erden unser kleines Paradies schaffen! Nicht wahr, mein guter Engel, Du hilfst mir dabei?! –

– Nur über Eins bin ich Dir bös in Deinem prächtigen Brief, mein liebstes Herz! Wie kannst Du sagen oder auch nur denken, daß Du mich durch die ausführlichen Mittheilungen Deiner Liebesgedanken und Deiner innigen tiefen Gefühle langweilen könntest?? Das solltest Du doch wissen, daß mir grade diese Stellen Deiner Briefe die allerliebsten und die immer wieder und wieder gelesenen sind, da sie mir mein Glück ja immer vom neuen lebendig vor Augen führen. Schreib also davon je mehr je lieber Deinem treuen Erni.

[Adresse]

Herrn Oberregierungsrath | Haeckel. | Wilhelmsstr. 73. | Berlin | (Prusse). | vapore diritto| per Marseille

a korr. aus: meines; b Textverlust durch Papierausriss, sinngemäß ergänzt; c Textverlust durch Papierausriss

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.11.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 49408
ID
49408