Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Messina, 5. November 1859

Messina. 5.11.59.

Wie mir das Postscriptum auf der Adresse Deines letzten Briefs sagt, liebster Schatz, hast Du noch kurz vor dessen Absendung meinen ersten Brief nach der glücklichen Zurückkunfta nach Messina erhalten und bist dadurch die unnütze Angst und Sorge losgeworden, mit der Du Dich so überflüssigerweise in Bochum und Hamm gequält hast. Dein lieber herziger Brief ist noch so unter dem Druck dieser Besorgniß um Deinen unnützen Strick geschrieben, daß es mir ordentlich Leid thut, Dir dadurch die heitern Genüsse Deiner schönen Reise etwas getrübt zu haben. Aber auch wenn ich selbst, was bei der Eile unserer Reise kaum möglich war, zum Schreiben gekommen wäre, hätte das nichts geholfen, da bei dem höchst rudimentären Briefpostverkehr im Innern der Insel der Brief erst nach Wochen in Messina angelangt wäre.

Um so froher würdet ihr nun sein, mich sicher und glücklich in Messina zu wissen und mir selber ist seitdem zu Muthe, als wäre ich schon halb zu Haus und würde schon bald wieder bei euch Lieben sein. Wenn das begonnene Winterleben in dieser Weise fortfährt, so wird der lange einsame Winter, vor dem ich mich so sehr fürchtete, wohl ziemlich rasch, trotz aller schon jetzt bedeutenden Ungeduld, vorübergehen; und wenn das Material zur Arbeit mir nur halb so reichlich wie bisher zufließt, werde ich hinreichend durch interessante Arbeit beschäftigt sein, um das Heimweh nicht übermächtig stark werden zu lassen. Die vergangene Woche ist nur dabei wieder so rasch verstrichen, daß ich mich heute ordentlich wunderte, zu hören, daß morgen schon wieder Sonntagb sei. Die Masse der mir täglich zugebrachten schönen Sachen ist so groß, daß ich kaum den 50sten Theil bewätligen kann und oft vor lauter Zweifel, was zuerst zu thun sei, kaum zur eigentlichen Untersuchung komme. Bei dieser selbst schwinden die Stunden blitzesschnell und immer zu früh ruft mich Dr. Bartels zu Tisch. ||

Bisher habe ich noch nicht einmal mein Versprechen an Allmers gehalten, Sonntag nur hinauszugehen, zu zeichnen und zu malen. Die reizenden Thierchen hielten mich immer zurück, zumal die wundervollen pelagischen Krystallthiere aus den Ordnungen der Pteropoden und Heteropoden, Siphonophoren und Radiolarien, die ich bisher fast nur aus Abbildungen kannte. Letzten Sonntag (30.10.) Nachmittag kam ich zum erstenmal aus der Stadt hinaus, indem Hr. Klostermann mich zu einem kleinen Spaziergang abholte. Wir gingen in der Fiumare San Micheli (nördlich der Stadt) hinauf und erkletterten von da aus eine sehr steile, dicht mit Eichengebüsch und Erdbeerbäumen bedeckte Höhe von der wir einen prächtigen Blick auf die Stadt, Kalabrien und die ganze Meerenge hatten, die von hier, wie überhaupt von vielen Punkten der Umgegend, mehr wie ein mächtiger Strom aussieht, da die beiderseitigen Küsten eine lange Strecke in paralleler Krümmung neben einander hinziehen. Dabei lernte ich eine neue schöne Frucht kennen, die großen purpurrothen feinaromatischen Beeren des Erdbeerbaums (des von Horaz viel besungenen Arbutus) dessen immergrüne Gebüsche wir tüchtig plünderten. Abgesehen von dieser Excursion und meinem täglichen Morgenbad bin ich noch kaum aus der Stube gekommen.

Der Abend vergeht fast ganz mit Ausarbeiten des am Tage gesehnen und gezeichneten. Tagsüber ist viel Dr. v. Bartels auf meiner Stube, der sich sehr an mich attachirt. Es geht ihm jetzt besser (gewiß auch Folge meiner Behandlung!) und er fängt an heiterer zu werden. Ich muß ihm viel von Deutschland erzählen.

– Der nächste Dienstag bringt mir nun wieder liebe Briefe, auf die ich mich schon die ganze Woche vorher freue, hoffentlich auch einmal ordentlich Nachricht von den lieben Alten, von denen ich so lange nicht ausführliches gehört habe. Ihr letzter Brief ist vom 29 August. Einliegenden Brief besorgt an Martens der hoffentlich noch nicht abgereist ist. Schreibt mir doch etwas Näheres über seine Expedition. –

Du, liebste Änni, wirst nun wohl wieder in meinem Zimmer wohnen. Sei recht munter und vergnügt darin und denke der kommenden schönen Zeit, wo wieder 2 glückliche Leutchen zusammen darin sein werden!

Herzlichen Gruß und Kuß. Dein treuer E.

[Adresse]

Herrn Oberregierungsrath Haeckel | Wilhelmsstr. 73. | Berlin | (Prusse). | vapore diritto | per Marsiglia]

a korr. aus: Zurückfunft; b eingef.: Sonntag

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.11.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 49407
ID
49407