Schultze, Max

Max Schultze an Ernst Haeckel, Bonn, 3. Dezember 1864

Bonn 3 December 1864

Lieber Freund!

Es freut mich sehr daß Du mit meinem Entschluß, schon jetzt mit dem Archiv vorzugehen zufrieden bist. Die Sache kann manch Mühe und Arbeit kosten und manche Unruhe bereiten, im Allgemeinen hoffe ich aber doch rechte Freude an derselben zu erleben, und dazu gehören eine Reihe von zustimmenden und aufmunternden Briefen, die ich in diesen Tagen erhielt u. a. von Hugo von Mohl, Hoffmeister, Ferdinand Cohn, Donders, Kölliker. Letzterer, den ich natürlich nicht übergehen wollte, findet sich merkwürdig schnell in sein Schicksal, und meint er würde sich nun mit Siebold mehr an die vergleichende Anatomie halten. || Daß ich die pathologische Histiologie mit hineinnehmen will finden einige gefährlich – da ich mir natürlich eine strenge Auswahl vorbehalte und es mir nicht einfällt in klinische Medizin machen zu wollen, so finde ich die Gefahr nicht so groß, meine vielmehr es müsse so sein.

Der Titel des Archivs ist aufrichtig gesagt eine Concession an den Verleger. Ich gebe Dir ganz recht, daß das Wort „Gewebelehre“ den wissenschaftlichen Kern besser ausdrückt. Aber der Ausdruck wird nicht so allgemein verstanden, und ein Mißverständniß ist bei dem von mir gewählten Titel ja doch nicht möglich. Der Prospect und ich denke meine ganze Stellung zur mikroskopischen Anatomie drückt deutlich genug aus, weß Geistes Kind das neue Unternehmen ist. || Bloß Aufsätze allgemeinen Inhaltes aufzunehmen, kann ja doch nicht mein Plan sein, mit solchen allein würde man kein Archiv füllen. Die Richtung auf das Allgemeine soll sich aber wie ein rother Faden durch das Ganze durchziehen.

Reicherts neuester Erguß in der Spenerschen Zeitung kenne ich nicht. Du schreibst, daß Du Deinen Aerger an dem elenden Treiben des berliner Schwätzers Lust gemacht a, und einen Aufsatz über neue Rhizopoden fast vollendet hast. Natürlich möchte ich diesen Aufsatz für mein Leben gern in das erste Heft bringen. Du scheinst aber selbst daran zu zweifeln, ob er mir der polemischen Form wegen rechtb sein wird. Versuche es ihm mir recht zu machen, schlage mit Thatsachen und strafe mit stolzestem Selbstgefühl. || Der Mensch verdient nicht daß man sich an ihn ereifert. Magenschmerzen soll ihm das Archiv machen aber womöglich keine Angriffspunkte bieten. Ich bin weit entfernt davon eine Schule mit aus dem Archiv ausschließen zu wollen, aber dem Reichert gönne ich nicht gern eine Zeile mehr als nöthig ist. Er bildet sich sonst ein, der Esel, daß das Archiv seinetwegen gegründet ist, der abgeschmackte, eitle Thor! Nun Du verstehst mich und ich sehe Deinen Aufsatz mit Verlangen entgegen.

Bezüglich Mikroskop würde ich Dir entschieden zu einem Zeis mit System F rathen. Du kennst [Dich] sicher damit aus und die größere Fokaldistanz ist entscheidend. Claparède traf ich wohl und heiter, nachher verlebte ich noch vier herrliche, entzückende Tage in Charmonix.

Nun Gute Nacht.

Dein Max Schultze

Warst Du mit meiner Bitte bei Zeiss? Gerhard zeigt mir heute seine Verlobung an, ich gratulire ihm! Gegenbaur u. meinem Bruder Grüße. Wie ist es dennc mit Bezold, geht er nach Würzburg? Sei doch so gut u. theile ihm mit besten Grüßen von mir den Prospectus mit. Ich schickte ihm Einen.d Und wie ist es mit der zoologischen Professur in Würzburg?e

a gestr.: hast; b korr. aus: Recht; c Text weiter am linken Rand von S. 4: Warst … denn; d Text weiter am linken Rand von S. 3: mit … Einen.; e Text weiter am linken Rand von S. 2: Und … Würzburg?

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.12.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 48484
ID
48484