Stöckhardt, Ernst Theodor

Ernst Theodor Stöckhardt an Ernst Haeckel, Jena, 12. Februar 1872

Sr. Spectabilität

dem Decan der philosophischen Facultät | Herrn Professor Dr. Haeckel | zu | Jena.

Gestelltem Verlangen gemäß hat sich der ergebenst Unterzeichnete der sorgfältigen Durchsicht der von dem Herrn Generalsekretair Delius in Halle eingesendeten Abhandlungen „über die Cultur der Wiesen“ und „über die landwirthschaftliche Bewirthschaftung des geringen Sandbodens“ unterzogen. Seine Anschauungen über den Werth dieser Arbeiten sind in Folgendem niedergelegt.

Beide Schriften sind sachlich in hohem Grade befriedigend; sie behandeln ihren Gegenstand gründlich, erörtern denselben in durchaus selbstständiger Weise und mit kritischem Urtheil und zeigen eine feste, gut motivirte Meinung des Verfassers über die von ihm bearbeitete Materie.

Die behufs der Erlangung der academischen Doctor-Würde eingereichte Abhandlung „Die Cultur der Wiesen“ scheint || allerdings noch zu einem weiteren Zwecke abgefaßt zu sein, nähmlich zur Belehrung des größeren landwirthschaftlichen Publikums über den besprochenen Gegenstand.

Dadurch wird allerdings der Charakter einer streng wissenschaftlichen Abhandlung einigermaßen gefährdet. Nicht etwa, als ob irgend ein Theil der Schrift in oberflächlicher, unwissenschaftlicher Weise und mit hervortretender Neigung, (selbst auf Gefahr tieferer Begründung der Sache,) nur recht populär zu schreiben, abgefaßt wäre; im Gegentheil, der Verfasser sucht überall die Gründe der Erscheinungen blos zu legen, muthet dem Leser ernste Denkarbeit zu, ist deshalb in seiner Schreibweise für den ungeschulten Leser mitunter etwas schwerfällig und ringt, formell nicht gerade allenthalben mit Glück, überall nach klarer Feststellung der Begriffe. Aber eben dieses Streben nach allseitiger Begründung hat bei der Voraussetzung eines größeren Leserkreises aus dem landwirthschaftlichen Publikum den Verfasser genöthigt, in den Kreis seiner Betrachtungen eine Menge elementarer naturwissenschaftlicher Vorgänge und Erscheinungen zu ziehen, welche mindestens der naturwissenschaftlich gebildete Leser als bekannt voraussetzt. Dem erfahrenen Landwirth dagegen werden manche technischen Auseinandersetzungen zu weit gehend erscheinen, welche jedoch für jeden nicht mit dem Wiesenbau schon vertrauten Leser nothwendiger Weise zu erörtern waren, um das Charakteristische der verschiedenen Methoden der Cultur || der Wiesen klar zu legen. Das Bestreben nach recht zuverläßiger Begründung der geäußerten Meinungen hat auch hier und da zu mancherlei kleinen Wiederholungen geführt und es etwas erschwert, bei der Vertheilung des Inhaltes der Schrift nach verschiedenen Abschnitten eine recht einfache und scharfe Zusammenfassung und Gliederung der verwandten Materie zu treffen.

Alles dieses sind aber nur untergeordnete Ausstellungen gegenüber dem werthvollen Material, was die Schrift durch die eigenthümliche Betrachtungs- und Erklärungsweise des Verfassers über dem von ihm behandelten Gegenstand darbietet, wodurch eine Menge glücklicher Hülfsmittel und neuer Anschauungen geboten werden, welche eine weitere wirthschaftliche Förderung in der Benutzung und Cultur der Wiesenländereien herbeiführen müssen.

Der Schwerpunkt der Schrift liegt in der Prüfung der Verhältniße, unter welchen die eine oder die andere Culturmethode Platz zu greifen habe, wie sie richtig anzuwenden und zu bessern sei. Als Prüfungsmittel ist hauptsächlich die Verwerthungsmöglichkeit der Endproducte mit in den Vordergrund gestellt; da diese aber nicht unerheblich mitbedingt wird durch das Erndteverfahren, so hat auch letzteres a in Betracht gezogen werden müssen, so wenig es an und für sich vielleicht von vielen als ein Gegenstand betrachtet werden mag, der in eine wissenschaftliche Abhandlung gehört. ||

Für den Zweck der Promotion würde die Veröffentlichung der Abschnitte III „Werthbestimmung der Erndte“ und IV „Ausführung der Wiesenanlagen“ zwar genügen, aus den vorher erwähnten Gründen wird aber der Abschnitt II „Erndteverfahren“ nicht wohl ausgeschieden werden können. Ebenso kann als Abschluß der ganzen Arbeit das letzte kurze Capitel V nicht wohl entbehrt werden, zumal es einige ganz interessante Berechnungen enthält. Einige Kürzungen einzelner Partien in den vorangeführten Abtheilungen würde nach der Ansicht des Referenten den Werth der Schrift erhöhen. Es ist aber Alles so einheitlich ineinander gearbeitet, daß ein Ausscheiden des Einzelnen ohne ein vollständiges Umarbeiten der ganzen Schrift, die man dem Verfasser nicht zumuthen kann, da das Werk sonst so tüchtig, sehr schwer zu ermöglichen sein wird. In dem Anhang „Über die Beschaffung des Wassers“ sind nur die in Preußen geltenden Bestimmungen über die Benutzung des Wassers zu Zwecken der Wiesenwässerung erwähnt. Dieß dürfte bei den verschiedenen rechtlichen Bestimmungen über diesen Gegenstand in den verschiedenen Staaten Deutschlands zu einseitig erscheinen; aber nur die Verschiedenheiten in den gesetzlichen Bestimmungen der verschiedenen Länder hervorzuheben würdeb eine eigne Abhandlung erfordern. Referent würde deshalb hier nur den Hinweis auf Beobachtung der gesetzlichen Bestimmungen des Staates über diese Materie als nothwendig erachten und in einer Anmerkung auf die hervorragendsten Werke || verweisen, welche die rechtliche Seite der Benutzung der fließenden Gewässer für Culturzwecke behandeln.

Als Einleitung für die Schrift, welche natürlich unmöglich sofort mit Capitel II „Erndteverfahren“ beginnen könnte, wird der Inhalt des I Capitels in soweit zu dienen haben, als ein allgemeiner Hinweis auf die Vegetationsbedingungen der Wiesenpflanzen etc. gegeben, aber jede weitergehende Ausführung der einzelnen zu berücksichtigenden Momente vermieden würde. Die Abbildungen der ersten Tafel kämen dann natürlich mit in Wegfall.

Hat, wie Referent vermuthet, der Herr Verfasser diese Schrift freilich gleichzeitig für ein größeres landwirthschaftliches Publikum berechnet, so ist die Ausführlichkeit jenes I Capitels nebst Veröffentlichung der dazu gehörigen Tafel vollständig gerechtfertigt. Für die Promotionsschrift hätte der Herr Verfasser aber jedenfalls dieses Einzelne auf sonst Bekanntes, wie überhaupt die Ausführlichkeit der Beschreibung der technischen Besprechungen in seiner Schrift mit den praktischen Zwecken, denen dieselbe gleichzeitig dienen soll, kurz zu motiviren; dieß hätte gleich in der Einleitung zu geschehen. –

Dieß die Anschauungen des Referenten über die an sich durchaus werthvolle Schrift „Die Cultur der Wiesen“ als Promotionsschrift.

Bezüglich der zweiten eingesendeten Schrift „Studien über die Bewirthschaftung des geringen Sandbodens“ kann Referent nur sagen, daß er es aufrichtig bedauert, daß der Herr Verfasser nicht diese Arbeit zur Promotionsschrift bestimmt hat, da sie nach || Inhalt, Form und Behandlungsweise ganz dazu geeignet erscheint. Der Gegenstand ist ein höchst wichtiger, die richtige landwirthschaftliche Ausbeutung dieser geringen Sandböden geradezu ein Problem unserer Zeit. Der Verfasser hat eine so selbstständige sichere Auffassung bezüglich der Wege, welche zur Lösung dieses Problems einzuschlagen sind, er zeigt in seiner Schrift so viel Erfahrung und geht seiner Aufgabe mit so wissenschaftlicher Prüfung der Entscheidungspunkte entgegen, daß Referentc diese Studie auch in ihrer unvollständigen Gestalt für vollgenügend hält, dem Petenten die Erlangung der Doctorwürde zu sichern.

Nur Eines möchte er bei ihrer Veröffentlichung vermieden sehen, nähmlich die Tautologie auf dem Titel: landwirthschaftliche Bewirthschaftung. Heißt es landwirthschaftliche Benutzung des geringen Sandbodens, oder auch nur: „Studie über die Bewirthschaftung des geringen Sandbodens“, so ist dieselbe Sache ohne irgendein Mißverständniß über den Inhalt der Schrift bezeichnet.

Bezüglich der eingesendeten Druckschrift „Die Reinerträge der Wirthschaftssysteme“ schließt sich der Unterzeichnete ganz dem günstigen Urtheile des Herrn Professor Kühn in Halle über dieselbe an, welches den zugefertigten Zeugnissen beigefügt war.

Nach Darlegung des Werthes der eingestellten Probeschriften kann nun der Unterzeichnete zur Beantwortung der Frage gehen: ob Herr Delius als || Schriftsteller hinlänglich bekannt sei, um denselben auf seine eingesendeten Abhandlungen in absentia zu promoviren?

Unterzeichneter beantwortet diese Frage entschieden mit Ja. Herr Delius gehört allerdings nicht zu der Klasse der landwirthschaftlichen Schriftsteller, welche über jeden Gegenstand, der gerade an der Tagesordnung ist, mit Leichtigkeit und großem Selbstgefühl schreiben, auch wenn ihre Kenntniße von der Sache nicht selten nur oberflächliche sind, und sind deshalb seine Schriften auch möglicherweise noch nicht in allen landwirthschaftlichen Kreisen bekannt. Wer sich aber nur irgend einigermaßen eingehend mit der landwirthschaftlichen Literatur befaßt hat, kennt seine Schriften über Fischzucht, Wirthschaftssysteme und Reinertragsberechnungen und seine in dem Organ der landwirthschaftlichen Versuchsstationen, sowie in der Zeitschrift des landwirthschaftlichen Centralvereins der Provinz Sachsen veröffentlichten Mittheilungen, und schätzt dieselben als Arbeiten, welche von kritischem Sinn, wissenschaftlichem Geiste und vieler Erfahrung Zeugniß ablegen. Eigenschaften, welche auch die beiden eingesendeten schriftlichen Arbeiten über Wiesenbau und Bewirthschaftung des geringen Sandbodens kennzeichnen.

Auf Grund dieser Abhandlungen darf, der Überzeugung des Unterzeichneten nach, dem Herrn Delius, der auch sonst als landwirthschaftlicher Schriftsteller und Redacteur || einer unserer besten landwirthschaftlichen Zeitschriften in durchaus vortheilhafter Weise bekannt ist, der Doctorgrad in absentia unbedenklich ertheilt werden.

Die eingesendeten Abhandlungen, Zeugniße und sonstigen Literalien folgen sämmtlich anbei zurück.

Es verharrt in Hochachtung und Ehrerbietung

Jena am 12ten Februar 1872.

E. Stöckhardt

a gestr.: mit; b eingef.: würde; c gestr.: er; eingef.: Referent

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
12.02.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
UAJ
Signatur
M 421, 70r-73v
ID
47249