Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 22. Mai 1876

Potsdam 22/5 76.

Mein lieber Herzens Ernst!

Wie geht es Agnes? was macht mein Ernst? und seine Kinder? so frage ich des Tags vielmahl und immer keine Antwort, die ich mit solcher Sehnsucht erwartte. So gar keine Nachricht von meinen Lieben aus Jena, das macht mir große Sorge.

Dies soll für Dich, mein lieber Ernst kein Vorwurf sein, weiß ich doch daß das Rektorat Dir viel Arbeit macht; aber ist denn Agnes so krank, daß sie nicht ein paar Worte || schreiben kann? vielleicht erzeigt Walter mir die Liebe, und schreibt mir wie es seinem lieben Pappa und seiner guten Mama geht. Sage ihm nur, er würde mir eine große Freude durch einen Brief machen.

Bei Karl geht es besser, die beiden Scharlachkranken erholen sich: Julius geht wieder zur Schule, Georg ist noch oft matt, daß er noch Schonung bedarf, wird || aber in diesen Tagen auch wieder die Schule besuchen können. Clara hat viel Schmerz durch einen schlimmen Finger. Viel schwere Sorgen habe ich jetzt über unseren Lieben in Berlin: Bertha hat Hausarrest; ich war wieder diesen Freitag dort; sie sieht sehr elend aus, wollte mich aber mit der Versicherung beruhigen, daß sie sich schon besser fühle. Gebe Gott, daß es so ist. Auf Quinckes Verordnung wird sie || nach Reichenhall gehn. Dann war ich auch bei Bertha Petersen, die arme Frau leidet sehr; sie sehnt sich sehr nach Hause, und wird so bald die Aerzte es erlauben heim reisen. Wie verschwinden gegen diese schweren Prüffungen alle kleine Unannehmlichkeiten des Lebens, an denen es auch nicht fehlt, so habe ich zum ersten July Mädchenwechsel.

Sei mit Frau und Kinder auf’s herzlichste gegrüßt von

Deiner

alten Mutter

Lotte

Bitte laß von Euerem ergehn hören.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.05.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 46981
ID
46981