Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 8. November 1890

Marburg a. D. 8. Nov. 1890.

Geliebter und verehrter Freund!

Gestern habe ich Ihren lieben Brief vom 5. Dieses mit Ihrem Bilde, Algerien und den Amsterdamer Berichten erhalten, und der Tag und Abend, die ich ganz mit Ihnen verbrachte, gehören zu den schönsten meines Lebens. Aus Ihrem Brief spricht Ihre Liebe zu mir; in dem besonders gelungenen Medaillon schaute ich Sie leibhaftig; an Ihrer Hand habe ich Algerien durchwandert, und in Amsterdam sah ich, wie unsere Zeit Ihnen huldigte, als den einzigen Sie anerkennend, der sich neben Darwin stellen darf. Selig war, bis heute noch ganz davon erfüllt und dankbar drücke ich Ihnen die Hand. ||

Aus den Algerischen Erinnerungen lacht uns wieder die bezaubernde Lebendigkeit des Schilderers von Corfu und Ceylon entgegena. Von der Großartigkeit, die da vor uns sich entfaltet, hatte ich keine Ahnung, und betreffs der Colonialpolitik, die mir bislang nicht recht einleuchten wollte, bin ich zu einem zeitgemäßen Begriff gekommen. Und dann die Details! Ich habe so von Herzen gelacht über den Affentrost, S. 25, und am Schluß der Seite 27 fühlte ich mich durch die Erinnerung an Ihre gemalten Skizzen nach Wildhaus zurückversetzt. Die Charakterisirung der Kabylen und Araber, S. 32 ff. und der Vegetation im Hammagarten, S. 41, ist hochinteressant. Die Schilderung vom Maghreb, S. 224, Fum es Saharah, S. 230, Hammam-Meskutine, S. 232 u. s. f. prägt sich Einem für immer ein, und man kann nur wünschen, daß die Franzosen aber auch die Deutschen Ihre Mahnungen beherzigen. Der Humor, mit dem Sie Ihre verschiedenen Arretirungen erzählen, von welchen ich übrigens schon aus unsern Zeitungen wußte, ist köstlich.

Frau Marie Scholz, die für Reise-||eindrücke von einer seltenen Empfänglichkeit ist, machen Sie mit der Übersendung Ihrer Algerischen Erinnerungen ganz glücklich. Ich habe sie ihr längst angekündigt und sie freut sich kindisch darauf. Das Pseudonym Stona hat sie ihrem Familiennamen Stonawsky entnommen, und lebt jetzt, da ihr Mann Dr. Albert Scholz sich ganz der Landwirthschaft widmet, mit ihm auf dem Gute ihres Vaters: Schloss Strzebowitz, Österreichisch Schlesien, Bahn Post. Schönbrunn.

Damit keine Wolke meine Freude trübe, geben Sie mir auch über das Befinden Ihrer Frau gute Nachrichten. Zur vierten Auflage Ihrer Anthropogenie beglückwünsche ich Sie von Herzen, und danke Ihnen auch für das liebe Wort über mein Buch, mit dem es Ihnen recht zu thun, ich überzeugt bin.

Mit der Unsterblichkeit verhält sich’s, wie Sie sagen; aber es ist unglaublich, welchen Anklang alles findet, das dahin abzielt z. B. Meynert’s Vortrag: || Gehirn und Gesittung. Ihr Wort über die drei Wölfe ist herrlich, und auch für die Geduld, mit der Sie meine Herzensergüsse über sich haben ergehen lassen, kann ich Ihnen nicht genug danken. In Hermann Wolff habe übrigens ich selbst so tief mich verbissen, daß ich, um ihn loszuwerden, eine Besprechung seines Kosmos an die Vierteljahrschrift von Avenarius schicken mußte. Wie sie erscheint erhalten Sie sie.

Meinen Kindern geht es gut. Sie sind in Wien und morgen sende ich ihnen die Algerischen Erinnerungen. Ich dürfte erst in der ersten Woche b December nach Wien gehen. Meine Zustände werden immer schlimmer, aber in einem so langsamen Tempo, daß ich noch immer (bei meinem Alter) zufrieden sein kann.

Was für mich der Gedanke ist, Sie im kommenden Sommer hier zu haben, sollen Sie mit Augen sehen; und damit grüßt Sie in alter Liebe und Treue Ihr

B. Carneri

a eingef.: entgegen; b gestr.: September

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
08.11.1890
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4657
ID
4657