Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 23. Juni 1865, mit Beischrift Charlotte Haeckels

Berlin 23 Juni 65

Lieber Ernst!

Gestern auf meiner Frühpromenade traf ich mit Virchowa zusammen, der mir sagte: wie er in Erfahrung gebracht, daß Du mit Barth eine Reise nach Dalmatien machen wolltest. Er wünsche sehr auf dieser Reise Euer Gefährte zu sein und bäte Euch, ihn wißen zu laßen: ob Ihr ihn mitnehmen wollet? Ich zweifle nicht, daß dieser intereßante Gefährte Euch willkommen sein wird. Schreibe also nur bald an Bahrdt und hohle seine Genehmigung ein und dann gieb Virchow bald Nachricht hirvon, damit er sich hiernach arrangiren kann.

Mutter und ich sind nun seit Sonntag wieder hier. Es hat uns in Landsberg sehr gefallen, die schöne Wohnung, ihre liebliche Lage, der erbauliche Verkehr der Stadt und ihre schöne Lage an der Warthe haben einen sehr angenehmen Eindruk auf uns gemacht, obwohl wir meist kaltes und unfreundliches Wetter hatten. Dazu kam nun noch das Zusammenleben mit unsern dortigen Lieben, was uns wahrhaft erquikt hat; die 3b großen Kinder schon in der Schule beschäftigt, die sie mit Eifer besuchen, dann der Heinrich und die Mieze, wovon sich der erste meist auf der Straße in der Nähe der Eisenbahn herum tummelt, die c Mieze außerordentlich dik geworden, so daß wir sie kaum wieder erkannten, endlich die beiden Kleinen, der hübsche Ernst mit den schönen Augen und der kleine stets freundliche Georg, der uns ungemein viel Spas gemacht hat. Unsre herzliche Mimi, stets heiter und verständig beschäftigt mit ihren Kindern, höchst aufmerksam für uns beiden Alten, so daß wir || es gar nicht besser wünschen konnten; unser Carl endlich voller Liebe für uns und ins besondre beschäftigt, mir da beizuspringen, wo das unbehülfliche Alter eine Unterstützung wünschenswerth macht. Wir sind täglich (Carl und ich) zusammen spatzieren gegangen, haben auch mit der ganzen Familie einen Ausflug nach Cladow gemacht, wo ein sehr schöner Wald ist und wo wir sehr schönes Wetter hatten.

Carl war mit mir unzufrieden, daß ich so viel arbeitete. Ich hatte nehmlich Raumers Geschichte der Hohenstauffen mitgenommen, indem ich grade in der Lektüre von Kaiser Friedrichs II Leben begriffen war, die mich sehr anzog, die ich aber dort vollendete. Hier seit meiner Zurükkunft habe ich noch das Leben Conradins gelesen, so daß ich die ganzen Kämpfe der Hohenstauffen mit den Päbsten ganz lebendig im Kopfe habe und so zu sagen in jener Zeit lebe mit ihrer ganzen Eigenthümlichkeit, die dann mit unsrer Gegenwart ungemein absticht und zu den intereßantesten Betrachtungen Veranlaßung giebt. Welch ein Gegensatz! und welche Lehren uns die Geschichte giebt, indem sie im Laufe der Zeit die intereßantesten Entwikelungen und den unaufhaltsamen Fortschritt des Menschengeschlechts zeigt, die ewige Thätigkeit Gottes, der sich in immer neuen Schöpfungen und Hervorbringungen gefällt. Jetzt setze ich hier meine Lektüre in Kortüms Mittelalter fort, bin bei Rudolph von Habsburg und komme nun zu den Luxemburgern bis zur Reformation, wo wiederum eine ungeheure || neue Geschichtsepoche des Fortschritts beginnt, in der wir noch fortleben.

In Landsberg arbeitete ich in Carls Zimmer und hatte dort die schöne Aussicht auf den Bahnhof und auf die Warthe; und was uns sehr amüsirte, d täglich, wenn wir nach dem Bahnhof schauten, wurde uns der Anblik von magerene Schweinen, die durchpaßirten oder dort zum Mästen abgesetzt wurden und von schon Gemästeten, die weiter gebracht wurden, gewährt, das war ein fortwährendes Herumtummeln dieser Schweinemaßenf mit ihren Treibern, das häufig sehr lächerlich war, indem die Treiber häufig mit ihren Schweinen nur sehr schwer fertig werden und sie bezwingen konnten. Kurz, der Schweine Anblik war unser tägliches Vergnügen, daneben die Flößerei auf der Warthe mit Brennholz, welches, so wie die Schweine aus Polen kam. Mitunter giengen Carl und ich in der Stadt spatzieren, die mich durch ihren lebhaften Verkehr sehr intereßierte. Carl hat doch durch seine Versetzung von Freyenwalde nach Landsberg in sofern sehr gewonnen, als er dort bei dem großen Gericht und bei dem großen Gymnasio immer auf Umgang mit wißenschaftlich gebildeten Männern rechnen kann, auch schon recht liebe Familienbekanntschaften, die für Mimi sehr angenehm sind, gemacht hat.

Am Sonntag fuhren wir Nachmittags halb 5 Uhr hirher zurük und kamen halb 10 Uhr hier an, wo wir dann unsern gewöhnlichen Lebenslauf begonnen haben. Vorgestern haben wir einer Fête bei Jacobis || beigewohnt, die zur Ehre Deines Cousins Carl Sethe, gegeben wurde, der uns seine g Braut, die uns nicht misfallen hat und seine Schwiegermutter, eine geborne Koppe präsentirte, eine intereßante Frau, welche in [der] Nähe von Schwedt 2 Güter besitzt, wovon Karl jetzt eines verwaltet.

Daß Tante Berta unsern Carl und Mimi nach Salzburg reisen laßen will, wirst Du wohl schon wißen. Es werden jetzt die Vorbereitungen dahin getroffen und die Jungfer von Deiner Schwiegermutter soll, wenn es angeht, inzwischen die Aufsicht über Carls und Mimis Kinder führen. Es wird eben darüber unterhandelt. An Deine Schwiegermutter wirst Du ja bald schreiben und ihr auseinandersetzen, warum Du sie nicht in Apolda begrüßt h und ihr nicht vorher Nachricht über Dein Außenbleiben gegeben hast, was Du allerdings hättest thun sollen, und was sie wohl erwarten konnte. Suche das wieder gut zu machen.

Dein Alter

Hkl

[Nachschrift von Charlotte Haeckel/ Schlussformel des Briefes von Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, 23.06.1865:]

den herzlichsten Gruß von

Deiner

Mutter.

a irrtüml.: Wirchow; b eingef.: 3; c gestr.: Mige; d gestr.: der; e gestr.: rohen; eingef.: mageren; f eingef.: maßen; g gestr.: Schwiegermutter; h gestr.: hast

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
23.06.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44130
ID
44130