Haeckel, Charlotte; Haeckel, Carl Gottlob

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 1./2. Februar 1852, mit Nachschriften von Karl Haeckel und Carl Gottlob Haeckel

Berlin d. 1sten Feb.

Mein geliebter Ernst!

Mit recht großer Sehnsucht habe ich von einem Tage zum andern auf Nachricht gehofft; bis jetzt leider vergebens, und doch möchte ich täglich wissen, was mein lieber Junge macht, ob sein Knie wieder ganz gut ist. Ich kann Dir nicht sagen, wie schwer es mir ist, daß ich Dich nicht pflegen, daß ich nicht bei Dir sein kann. Ach bitte mir zur Liebe nimm Dich nur recht in Acht, || thue nur pünktlich was Basedow verordnet. Hast Du wohl Basedow drauf aufmerksam gemacht, daß Du schon früher oft Schmerzen am Knie gehabt hast, und daß Basedow es schon öfter untersucht hat, aber damals immer sagte es sei nichts. Vater sagt wohl Du könntest jetzt nicht schreiben, da Du mitten in Examenarbeiten seist; nach || einem Briefe, den Vater heute von Land Rent Meister Wiegner erhalten, müßt Ihr ja nun mit den schriftlichen Arbeiten jetzt wohl durch sein; wenn Du auch nicht Zeit hast, viel zu schreiben, o bitte, so sage mir nur mit wenigen Worten, wie es Dir geht. – Ich hatte mir fest eingebildet, wir würden vorigen Freitag, den 29sten von Dir einen Brief || erhalten, weil es da 50 Jahr war, daß Vater sein Geschäftsleben begonnen, Du hast wohl nicht dran gedacht, wir haben viel an Dich gedacht, und Dich zu uns gewünscht. Nun, daß hat nicht sein können. – Zu Mittag war Meier, der mit Karl repetirte, heute bei uns, und dann kam noch Frl. von König und lud sich ein. Karl bestand drauf der schöne Pokal müsse || eingeweiht werden, und holte dazu eine Flasche Johannisberger. Abends, wo wir mit den Mitgliedern der Sackschen Familie bei Julius waren wurde [auf] Häckels Gesundheit mit Punsch getrunken. – Für mich hatte der Tag viel Wehmüthiges, doch habe ich dem lieben Gott von Herzen b gedankt, daß er uns so reich gesegnet hat. Seine Vaterhand leite uns ferner nach seinem Wohlgefallen. – – ||

Von Herzen wünsche ich Dir Glück, mein lieber Ernst, daß Du die Examenarbeiten hinter Dir hast, nun habe nur frischen Muth, dann wird es auch mit Deinen Knieen bald hoffendlich besser. Grüsse alle herzlich von Deiner

Mutter

[Nachschrift von Karl Haeckel]

Berlin 2/2 52.

Lieber Hans.

Es freut mich sehr, daß es mit Deinem Knie besser geht u. daß Du die Examensarbeiten schon hinter Dir hast.

In der letzten Woche habe ich viel Unruh gehabt. Denn: Freund Richter hat sich plötzlich verlobt, mit einem Frl. Maywald; Tochter eines Buchhalters in der hiesigen Porzellain-Manufactur. Er hat sie bei Aegidi‘s kennen gelernt. Gestern war die Familie der Braut draußen in Mariendorf, ich auch, und wir waren recht vergnügt. Richter läßt Dich schön grüßen er ist sehr glücklich; die Braut gefällt mir sehr wohl.

Ade lieber Junge, ich will wünschen, daß alle Arbeiten gut ausgefallen sind. Schreib uns, sobald Du davon gewisse Nachricht hast.

Von uns Juristen geht Wilde in der 2ten Hälfte des Monats zuerst ins Feuer. Ich werde vor Ende März nicht dran kommen. Ade. In alter Liebe

Dein

Karl.

NB. Die Bücher sind alle gebunden.

[Nachschrift von Carl Gottlob Haeckel]

Mein lieber Ernst!

Zum Frühstück heute, nachdem Carl vorstehendes geschrieben, kam Dein Brief von vorgestern an, aus dem wir ersehen haben, wie Du nun Deine Examenarbeiten hinter Dir hast was uns sehr freut. Es wird hoffentlich alles gut gehen. Wegen Deinem Knie sind wir sehr besorgt gewesen. Da es aber beide trifft, so muß es doch wohl eine Krankheit sein, die sich heilen läßt. Brauche nur recht fleißig die Medicin. In den Jahren des Wachsthums tritt manches hervor, das, wenn es auch eine Zeit lang anhält, doch auch wieder verschwindet. Aengstige Dich also nicht zu sehr. Es ist beßer, als wenn sich die Folgen des schnellen Wachsthums auf die Brust geworfen hätten. – Vorige Woche haben wir es unruhig gehabt, zuförderst die Auktion, auf welcher Mutter ein Sopha, sechs Stühle, einige Kleiderschränke, Wäsche, Gläser etc. erstanden. Auch Deine beiden Bilder Humbold und Wildenow haben wir gekauft, aber keine Waßerfallandschaften, weil sie zu hoch bezahlt wurden. Wir waren auf einige Mahl ausgebeten, die Verwandten sind nun wieder abgereist. Sodann war ich zwei Mahl in der 2ten Kammer, um die Diskussionen über den Beslerschen Antrag wegen des Verhältnißes Preußens zum Deutschen Bunde zu hören. Das Ministerium hat nur mit sehr wenigen Stimmen den Sieg davon getragen und die Gefahren, in welche die Selbstständigkeit Preußens und seiner Verfaßungc durch die Bundestagsbeschlüße gerathen könnten, sind von der Opposition sehr stark und vollständig hervor gehoben worden. Wenn auch das Ministerium gesiegt hat, so bleiben doch die öffentlichen Diskussionen über diese Gegenstände immer ein großer Gewinn und die Wahrheit bricht sich allmählich immer mehr Bahn und klärt das Volk auf. Diese politische Ausbildung des Volks durch die öffentlichen Kammerverhandlungen bleibt für jetzt die Hauptsache. Je mehr diese Ausbildung wächst desto mehr gewinnen die Kammern an Kraft und man muß sich dadurch, daß jetzt ein Theil des Volks sich noch in großer Unmündigkeit befindet und durch seine Wahlen das Ministerium unterstützt, vom parlamentarischen System durchaus nicht abschreken laßen. Manche verzweifeln an diesem System, weil das Volk noch zu unreif ist. Allein England hat beinah 2 Jahrhunderte gebraucht, ehe es reif geworden. ||

Gestern früh habe ich wieder Sydow angehört. Er sprach über das Evangelium des ungerechten Haushalters, über die Schwierigkeit es zu verstehen und über die wahre Bedeutung deßelben, die er dahin ausgelegte, daß Christus an dem ungerechten Haushalter die Consequenz eines den irdischen Interessen mit allen seinen Kräften dienenden Menschen habe darstellen wollen, der durch diese Consequenz seines Handelns seinen Zwek erreicht. In dieser Consequenz, Kraft und Eifer sollten sich die Menschen des Lichts, die dem Höhern dienen, jene irdischen Menschen zum Muster nehmen, um auch ihrerseits dadurch das Reich Gottes um so sichrer zu fördern. Daßelbe meint Christus, wenn er sagt: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Die Predigt war sehr gedacht und consequent vom Anfange bis zu Ende durchgeführt. – Man kann diese Lehre auch auf die Politik anwenden. Die einem gebildeten Volk nothwendige Freiheit läßt [sich] nicht erringen, wenn man die Hände in den Schoos legt, sondern wenn man sie auch unter den ungünstigsten Umständen mit Wahrheit, Beharrlichkeit und Eifer zu fördern sucht. Das System der bloßen Herrschsucht, die sich durch Unwahrheit, Lüge und dadurch daß sie die Menschen bei ihren schwachen und schlechten Seiten zu faßen sucht, d stützen will, kann auf die Länge gegen die Absichten der Vorsehung, die das Menschengeschlecht weiter fördern will, nicht anhalten. Die Kämpfer für Wahrheit und Recht müßen aber durch ihr Beispiel, den Sinn dafür aufrecht halten und ihm endlich unter Gottes Hülfe den Weg bahnen. – Am Sonnabend waren wir in der wißenschaftlichen Vorlesung, wo über den christlichen Bilderkreis, bevor die christliche Kunst im Lauf des 13ten Jahrhunderts begann, recht hübsch gesprochen wurde.

a gestr.: Karl; b gestr.: Ged; c eingef.: und seiner Verfaßung; d gestr.: zu

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
02.02.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 44123
ID
44123