Butscher, H.

H. Butscher an Ernst Haeckel, Ilmenau, 16. Februar, 1909

1.

Excellenz!

Weil Sie freundlich dankten mir

Für den Glückwunsch, den von hier

Ich, der Ihnen unbekannt,

Zum Geburtstag zugesandt:

Läßt die Freude mich nicht ruh’n,

Diesmal wieder es zu tun.

Wieder wünsch’ ich Glück recht sehr,

Wünsche, daß es sich vermehr’.

Kaum kann steigen noch Ihr Ruhm,

Aber wohl Ihr Eigentum.

Auch Gesundheit fehle nicht

Zur Erfüllung Ihrer Pflicht.

Wenn ein Dunkelmann Sie haßt,

Dem nicht Volkserleuchtung paßt,

Mögen doch Sie glücklich sein,

Höchster Ehr’ sich lang’ erfreu’n.

Zum 16. Februar 1909

von einem dankbaren ergebenen Schüler in Ilmenau. ||

Vorstehenden Glückwunsch habe ich schon im letzten Sommer gedichtet. Für Ihre mich ehrende Karte vom 8./1. danke ich sehr.

Von Ihren Schriften habe ich gelesen und mir daraus viel exzerpiert: a Schöpfungsgeschichte 1875, b Darwin, Goethe, Lamarck, Vortrag 1882, c Welträtsel 1903, d Kampf usw., Vorträge, Berlin 1905, e Lebenswunder 1906. c und e besitze ich. Ich habe mir zu beiden Werken alphabetische Register angefertigt. Ich besitze f Biographie und Bild Gartenlaube 1900, g Bericht in der Berl. Morgenzeitung v. 18./6. 07 über Ihren Vortrag in Jena. Gelesen habe ich Ihren Rundschau-Artikel 1901, in welchem Sie Ihre Welträtsel ein „berüchtigtes Buch“ nennen, Heinrich Schmidts „Kampf.“ usw. 1900 und anderes. Ich glaube, aus Ihren Schriften viel gelernt zu haben, und ich darf mich darum wohl stolz Ihren „Schüler“ nennen. ||

Im Weimarischen Kirchen- und Schulblatt 1865 war zu lesen: „Das Gottesbewußtsein der heutigen Philosophie ist vorzugsweise pantheistisch, oder materialistisch. Kuno Fischer … schreibt, ein denkender Mensch könne nur Pantheist sein.“ „Unter den Theologen hat Schleiermacher die Persönlichkeit Gottes ausdrücklich in Abrede gestellt, und Stra, Zeller, Biedermann u.a. haben auf die Unmöglichkeit hingewiesen, den unendlichen Geist zugleich wieder als Einzelpersönlichkeit zu denken. Die theistische Philosophie (d.h. Fichte, Weiße u.a.) hat sich ausdrücklich dazu verstanden, Gott nach Analogie des Menschengeistes vorzustellen.“ (Brockhaus B. 1882). – „Ich halte Gott für die innere Ursache aller Dinge. Ich sage mit Paulus, daß wir in Gott leben, weben und sind. Versteht man unter Natur bloß körperliche Materie, so ist es absolut falsch, wenn man meint, daß ich Gott und diese Na-||tur für ein und dasselbe Wesen halte! (Spinoza nach Kuno Fischer). – „Bis zu Spinozas frommem Pantheismus ist Schleiermacher zurückgegangen.“ (Karl Schwarz) – Nach Otto Pfleiderer schrieb Herder 1784 an Jacobi: „Gott ist überall in der Welt, also keine eingeschränkte Person. Mit dem persönlichen supra- und extramundanen Gott komme ich so wenig fort wie Lessing.“ – „Wahrhaft religiöse Weltansicht findet den göttlichen Geist, den ewigen Geist das All überall und immer in der Welt gegenwärtig und wirksam.“ (Otto Pfleiderer 96). – Unter dem Weltgeist wird man sich die Gesamtheit der Naturkräfte, „die Summe aller Kräfte und Wirkungen zu denken haben. Nach Friedrich Paulsen (1903) gesteht Eduard v. Hartmann in der 10. Auflage seiner Philosophie des Unbewußten, daß kein Unbewußtes an die Stelle von natürlichen Kräften und Wirkungen trete. – Vorher sollte das „Unbewußte“ an die ||

2

Stelle der theistischen Gottesvorstellung treten. – Das Dasein Gottes kann – nach Occam – nicht bewiesen werden. Das Dasein des Weltgeistes (Schellings, Drobischs, Fechners u.a.) bedarf keines Beweises. Kein Atheist leugnet den pantheistischen Gott.

Das Wesen des Materialismus ist Leugnung der Unsterblichkeit. In den philosophischen Werkchen von Busse, Külpe und Richert (Leipzig, B. G. Teubner) wird der Materialismus sehr wegwerfend besprochen. Aber von keinem besprochenen Nichtmaterialisten wird versucht, die Unsterblichkeit zu beweisen. Alle waren wohl doch auch Naturalisten; denn mit der albernen Behauptung: „Es gibt nur Geister, keine an sich existierende Körperwelt“, (Berkeley) wird die Unsterblichkeit der Seele nicht bewiesen. „Die Tatsache der Unsterblichkeits-Idee zu beweisen vermag keine Philosophie.“ (Richert 1908) – „Dagegen, || daß kein Toter irgend ein Zeichen seines fortdauernden Geisteslebens gegeben, ist zu bemerken, daß ein solcher sinnlicher Beweis der geistigen Fortdauer unmöglich ist.“ (Bretschneider 1824) Aber der vorweltliche Gott soll doch die Welt geschaffen haben; er soll sie erhalten und regieren. – „Der Unsterblichkeitsglaube wird jederzeit ein durch das Wissen weder zu stützender, noch zu zerstörender Glaube bleiben.“ (Pfleiderer 96). Das Sterben der Seele mit dem Körper ist so augenscheinlich, daß dafür keine anderen Beweise erforderlich sind. Soll man trotz dieser Augenscheinlichkeit an die ganz unmöglich scheinende Unsterblichkeit glauben, so darf man wirkliche Beweise dafür fordern. – „In den Systemen der neuesten Philosophie ist – abgesehen von Kants Inkonsequenz und Schellings späterem Abfall – von einer individuellen Fortdauer keine Rede. Fast alle Naturforscher, Philosophen und Ärzte || sind Materialisten.“ (Eduard v. Hartmann 78). Gott, der Weltgeist ist ewig, weil die Welt ewig ist. Der Menschengeist ist sterblich, weil der Mensch sterblich ist.

Wie Paulsen einst durch Flechsig ad absurdum geführt wurde, erzählt er (Paulsen) selbst in seiner Philosophie 1903. – „In den mannigfaltigsten Wendungen behauptet Adickes“ (nach Otto Flügel 1901): „Materie ist Erzeugnis des Geistes. Materie ist unser Bewußtseinszustand.“ – Nach dieser Probe von Adickes Philosophie wird dessen „Kant contra Haeckel“, obgleich Richert diese Schrift mit „ausgezeichnet“ zensiert, wohl wenig schaden.

Hochachtungsvoll zeichnet

Ihr

Ergebenster

H. Butscher.

Ilmenau

Den 15. Februar

1909.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.02.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 42706
ID
42706