Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Georg Reimer, Jena, 12. April 1876

Jena 12 April 76

Vertraulich!

Lieber Georg!

In den letzten Tagen habe ich eine kleine, 3–4 Bogen starke Broschüre vollendet, an welcher ich schon längere Zeit gearbeitet habe und welche in gedrungener Form meine (bisher noch nicht publicirten) Ansichten über die Elementar Vorgänge bei der organischen Entwicklung enthält (im Gegensatz zu Darwins Hypothese der „Pangenesis“, die ich für verfehlt halte). Der Titel lautet: „Die Wellenzeugung der Lebenstheilchen oder die Perigenesis der Plastiden. Ein Versuch zur physikalischen Erklärung der elementaren Entwickelungs-Vorgänge“. ||

Die Broschüre jetzt zu publiciren habe ich mich erst in den letzten Tagen entschlossen, und zwar mit besonderer Rücksicht auf das, am neunten Mai stattfindende 25jährige Amts-Jubiläum unseres allverehrten Curators, Geh. Staatsrath Seebeck. Diesem will ich die Broschüre widmen und eine 3–4 Seiten lange Dedication dazu geben, theils aus persönlicher Verehrung und Dankbarkeit gegen den hochverdientena Mann, theils weil ich gegenwärtig Prorector der Universität bin und als solcher besondere Veranlassung zu einer derartigen Festgabe habe. ||

Ich frage nur zunächst bei Dir an, ob Du Lust hast, die Broschüre zu verlegen. Auf Honorar würde ich eventuell verzichten b, dagegen mir hundert Frei-Exemplare ausbitten. Da die Schrift zugleich als Festschrift erscheinen soll, müßte die Ausstattung elegant sein. Namentlich würde ich bitten, das Dedications-Exemplar für Seebeck auf feinstem Kupfer-Druckpapier in größerem Format, d. h. breitem Rande (und vielleicht Einfassung) herzustellen. Format dachte ich Groß-Octav, eventuell nach Deinem Wunsche. Typen lateinisch, deutlich und schön, Cicero? Eine zugehörige Octav-Tafel, nur einfache mathematische Figuren (Wellenlinien-Systeme) kann Giltsch hier in einem Tage herstellen. ||

Das Manuscript ist fertig, bedarf aber noch sorgfältiger wiederholter c Durchsicht und formaler Feilung. Ich könnte es Dir nächsten Dienstag, spätestens Mittwoch schicken. Dann bleiben immer noch über 14 Tage für den Druck. Der Raum von vier Bogen wird nicht überschritten. Natürlich müßte ich das Dedications-Exemplar und ein paar Dutzend andere Exemplare am 8. Mai spätestens broschirt hier haben. Ob die Broschüre im Buchhandel ein paar Wochen später kommt, ist mir gleich. Aus besonderen Gründen bitte ich Dich, die Angelegenheit ganz geheim zu halten; auch hier weiß Niemand davon. Ebenso bitte ich um baldigste Antwort. Wenn Du nicht Lust hast, muß ich mich schleunigst nach einem anderen Verleger umsehen.

Mit freundlichsten Grüßen

Dein

Ernst Haeckel.

a gestr.: hochverehrten; eingef.: hochverdienten; b gestr.: und; c gestr. Feilung

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.04.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK, Verlagsarchiv Walter de Gruyter
Signatur
M 7704 Dep. 42, R1, Haeckel, Ernst, Bl. 103r-104v
ID
40568