Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Georg Reimer, Jena, 31. August 1866

Jena 31. August | 1866

Lieber Georg!

Durch Huschkes höre ich, daß Du dieser Tage abreisen willst, und da beeile ich mich, Dir noch rasch Lebewohl zu sagen und um Auskunft über einige Fragen zu bitten.

Den Druck des zweiten Bandes habe ich nun beschlossen, ganz hier vollenden zu lassen, da Dir der Druck der Einleitung in Berlin so unerwünscht schien. Die Verzögerung von etwa 3 Wochen, die dadurch entsteht, war jetzt ohnehin kaum zu vermeiden, da die Vollendung der genealogischen Tafeln noch eben so lange Zeit erfordern wird. Die drei fertigen Tafeln schicke ich Dir beifolgend zur Ansicht mit, bitte aber, dieselben ganz geheim zu halten, da ich nicht möchte, daß Etwas davon vor der Herausgabe des ganzen Werks bekannt würde. Ich hatte die Zahl derselben anfänglich auf vier berechnet. Da dieselben aber über alle meine Erwartungen gelungen sind, und ich mit den Fortsetzungen der Stammbäume für alle Organismen-Classen zu Stande gekommen bin (was ich noch vor einem halben Jahr für unmöglich, weil zu schwierig, hielt!) || So habe ich für nothwendig erachtet, die Zahl derselben auf acht zu erhöhen. Das Werk erhält dadurch eine sehr werthvolle Zugabe und ich hoffe, daß Du damit einverstanden bist. Darwin selbst hatte diese Construction der organischen Stammbäume als das höchste Postulat seiner Theorie hingestellt, selbst aber nicht gewagt, dieselben auszuführen, und eben so hat bisher kein anderer Naturforscher diesen eben so schwierigen als wichtigen Versuch gewagt. a Es ist also dies der erste Versuch, sowohl einer ganz umfassenden allgemeinen Anatomie und Entwickelungsgeschichte, als auch speciell ihrer genealogischen Begründung. Ich selbst hätte noch vor wenigen Monaten für unmöglich gehalten, daß mir derselbe wirklich so gelingen könnte.

Der Druck des Textes zum II Band ist nun bis zum fünfundzwanzigsten Bogen inclusive vorangeschritten. Frommann hat mir versprochen, die noch übrigen zehn Bogen (inclusive Register 2 Bogen) b in drei Wochen zu drucken, so daß ich am 20. September spätestens endlich, endlich die ersehnte Reise antreten zu können hoffe. Bis dahin sollen auch alle acht Tafeln fertig sein. ||

Vorwort und Inhaltsübersicht beider Bände werde ich Dir in nächster Woche schicken. Ich hatte jetzt zunächst die nothwendigere Arbeit der sehr zeitraubenden und mühsamen Stammbäume zu vollenden, so daß ich noch keine Zeit zu ersteren fand.

Beifolgend sende ich Dir den Dedications-Titel für beide Bände. Auf alle vier Titelblätter bitte ich Dich, unten noch den Wahlspruch Galileis in setzen zu lassen

„E pur si muore!“

Auf die Rückseite des zweiten (speciellen)c Titels kommt noch ein Goethescher Spruch.

Darwin, dem ich einige Probebogen vom II Band geschickt hatte, hat mir einen äußerst befriedigten und schmeichelhaften Brief geschrieben, und darin auch den Wunsch nach Übersetzung ins Englische ausgesprochen. Glaubst Du, daß es nöthig ist, eine Reservebemerkung wegen etwaiger Übersetzungs-Rechte auf dem Titel anzubringen? ||

Bitte, theile mir oder Frommann mit, auf was für Papier die acht Stammbäume gedruckt werden sollen?

Ferner bitte ich Dich, lieber Georg, mir vor meiner Abreise mitzutheilen, d wieviel Frei-Exemplare ich außer den vier Velin-Exemplaren bekomme, und ob Du mir dieselben, auch die ins Ausland bestimmten, befördern kannst? Ich wünschte drei nach England, eins nach Nord-Amerikae (an Agassiz), eins nach Brasilien (an Fritz Müller, einen der ersten Zoologen, in Desterro), eins nach Holland (an Harting) zu senden. Die übrigen würde ich an Deutsche, f vertheilen, jedoch weniger an Fachgenossen (die sich das Buch ohnehin kaufen müssen!) als an naturwissenschaftlich gebildete Laien, die dasselbe in weiteren Kreisen verbreiten helfen. Da der zweite Band allgemein lesbar ist, und die erste völlig umfassende und kritische Anwendung und Darstellung der Descendenz-Theorie auf alle Organismen giebt, so hoffe ich auf einen nicht bloß naturwissenschaftlichen Leserkreis.

Für die überschickten Treitschkeschen Broschüren, welche wirklich ganz ausgezeichnet und glänzend geschrieben sind, herzlichen Dank. Meine Eltern denken 9 Sept. nach Berlin zurückzukehren. Sie sind sehr wohl. Dir einen herzlichen Gruß und glückliche Reise.

Dein

sehr abgearbeiteter

Ernst Haeckel.

Die Politika scheinen sich ja viel erfreulicher zu gestalten, als alle Welt gedacht hat.

a gestr.: Ich; b gestr. bis; c eingef.: (speciellen); d gestr. wie; e eingef.: Nord-; f gestr.: jedoch

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.08.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK, Verlagsarchiv Walter de Gruyter
Signatur
M 7704 Dep. 42, R1, Haeckel, Ernst, Bl. 44r-45v
ID
40540