Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Thomas Henry Huxley, Jena, 7. Mai 1865

Jena 7. Mai 1865

Höchst geehrter Herr!

Es wäre schon längst meine Pflicht gewesen, Ihnen meinen herzlichen Dank zu sagen für die freundschaftliche Übersendung Ihrer „Elements of comparative Anatomy“, die mir sehr viel Freude gemacht hat. Indessen fiel die Ankunft Ihres Buches grade in eine Zeit, wo meine Existenz durch ein höchst unglückliches Schicksal im Grunde erschüttert war, und bald darauf war ich lange Zeit auf einer grösseren Reise abwesend. Ich würde Ihnen gerne zu gleicher Zeit mit diesem Briefe ein Buch übersendet haben, welches wichtige Fragen der allgemeinen Zoologie, für die Sie ja so lebhaftes Interesse haben, in einem, wie ich glaube, neuen, obwohl wesentlich auf Darwin gestützten, Sinne behandelt. Indessen || verzögert sich leider der Druck des Buches so sehr, dass ich es Ihnen wohl erst im Laufe des Sommers werde schicken können.

Die Principien, welche Sie in Ihren „Lectures (I–VI) on the classification of animals“ aufgestellt haben, interessieren mich sehr und ich theile sie fast in jeder Beziehung. Ich glaube, Sie werden in dem erwähnten Buche manche Ergänzung derselben finden. Die Darwinsche Theorie, deren Ausbau und Durchführung das Ziel alles meines wissenschaftlichen Strebens ist, hat in Deutschland, wo sie erst so vielfach missverstanden wurde und so geringen Anklang fand, in den letzten beiden Jahren sehr an Boden und Ausdehnung gewonnen und ich zweifle nicht an ihrem baldigen allgemeinen Siege. Wie ganz verkehrt aber selbst kenntnissreiche Gelehrte dieselbe auffassen, hat die ganz unkritische und verworrene Arbeit von Kölliker über heterogene Zeugung gezeigt, || welche Sie in Ihrer Kritik in der „Natural history Review“ noch viel zu milde behandelt haben. Man sieht aber daraus, wie sehr diejenigen Forscher, die sich immer nur mit der Betrachtung der einzelnen Details beschäftigen, den allgemeinen Sinn für das grosse Ganze der Natur verlieren.

Meine Specialstudien sind jetzt grösstentheils auf die Classe der Hydrozoen gerichtet, mit denen ich mich noch längere Zeit am Meere beschäftigen werde. Meine Monographie der Geryoniden werde ich Ihnen nach Vollendung derselben übersenden.

Mein lebhaftester Wunsch, den ich schon von Jugend auf hege, wäre ein längerer Aufenthalt an einer Meeresküste der südlichen Erdhälfte, etwa in Neuseeland oder im ostindischen Archipel. Indessen findet sich bei uns in Deutschland leider gar keine·Gelegenheit zur Ausführung solcher Pläne. Sollte man in England einmal für eine derartige Expedition einen Zoologen suchen, so könnten Sie vielleicht auch an meine Person bei Empfehlung von Candidaten denken. Ich bin jetzt 30 Jahre alt. ||

Um mir auch die Ehre Ihrer persönlichen Bekanntschaft in effigie wenigstens zu verschaffen, erlaube ich mir Ihnen beifolgend eine Photographie von mir zu übersenden, mit der Bitte, mir dafür Ihr eigenes Bild zu senden.

Meinen Freund, Edouard Claparède, den Sie ja auch kennen, habe ich im vorigen Herbst in Genf besucht. Er ist leider sehr krank (an einem Aneurysma Aortae) und wird wohl kaum wieder besser werden. Für unsere Wissenschaft ist dieser Verlust sehr zu bedauern, da seine ausgezeichneten Fähigkeiten ihn zur Förderung unseres gemeinsamen Zieles, einer totalen Reform der Zoologie im Sinne Darwins, in besonderem Maße befähigt hätten.

Ihr vorzügliches, von Victor Carus übersetztes Buch über die Stellung des Menschen in der Natur, hat ebenso, wie das gleiche von Carl Vogt, bei mir ausserordentlichen Beifall gefunden. Ich habe es einer meiner Vorlesungen zu Grunde gelegt.

Mit der vorzüglichsten Hochachtung

Ihr aufrichtig ergebener

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
07.05.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Imperial College London
Signatur
Huxley papers, General correspondence, Inv.Id. 17.170. Box No. 17 Series 1h
ID
40318