Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Julius Rodenberg, Colombo, 28. Januar 1882

Colombo, Ceylon, 28. Januar 82.

Herrn Dr. Julius Rodenberg, Redacteur der Deutschen Rundschau, Berlin.

Verehrtester Herr Doctor!

Statt dieser flüchtigen Zeilen beabsichtige ich Ihnen bereits seit 2 Monaten meinen dritten Reisebrief für die „Deutsche Rundschau“ zu senden, der ihnen meinen ersten Eindruck von der grünen Wunder-Insel bringen sollte. Aber wie soll ich inmitten dieses Paradieses, wo Tag für Tag die reichste Fülle der herrlichsten Natur-Eindrücke Auge und Sinn des Naturforschers fesselt, Zeit zum Schreiben ordentlicher Reise-Briefe finden? An Ansätzen und an bestem Willen dazu hat es meinerseits wirklich nicht gefehlt. Allein den ganzen Tag über bin ich ununterbrochen mit Schauen und Bewundern, Untersuchen und Sammeln, Malen und Skizziren beschäftigt, und am Abend bin ich dann nach tüchtiger zwölfstündiger Arbeit so müde, daß mir nach meinem einsamen Abendbrote gewöhnlich die Augen zufallen und ich kaum zum Schreiben der nothwendigsten Postkarten und der kürzesten unaufschiebbaren a Briefe komme. ||

Sie müssen sich also mit den versprochenen ausführlichen Reisebriefen noch einen Monat gedulden! Anfang März trete ich meine Rückreise von Ceylon an, und die directe vierwöchentliche Fahrt von Colombo nach Triest wird mir dann Muße genug gewähren, die Fülle der Reise-Eindrücke wirklich zu Papier zu bringen – wenigstens mit der Feder! Mit Pinsel und Bleistift ist das bereits in einigen hundert Skizzen geschehen, und diese, nebst einer guten Anzahl Photographien welche ich aufgenommen habe, werden mir zugleich die besten festen Anhaltspunkte für die Beschreibung liefern. b

Umc nun aber doch wenigstens Etwas zu leistend, e gebef ich Ihnen hiermit eine kurze briefliche Skizze des bisherigen Verlaufs meiner Reise g; sollten Sie es der Mühe werth finden, so können Sie dieselben den Lesern der „Deutschen Rundschau“ im Anhange des nächsten Heftes mittheilen.

Nach der interessanten Woche in Bombay, von welcher Ihnen mein zweiter Reisebrief berichtet hat, führte mich der treffliche österreichische Lloyd-Steamer „Helios“ in fünftägiger angenehmster || Fahrt längs der Westküste von Vorder-Indien nach Ceylon hinüber. Am Montag, den 21. November war ich schon eine Stunde vor Tages-Anbruch an Bord und schaute mit gespanntester Erwartung nach der nahen Küste der immergrünen Zimmt-Insel, der wir uns näherten. Scharf gezeichnet erhob sich über den dichten Cocos-Wäldchen des Küsten-Saumes das malerische Hochland von Ceylon, in seiner Mitte der stolze Adams-Pik. Bald nachdem wir in den Hafen von Colombo eingelaufen, erschien an Bord der Helios der Agent des österreichischen Lloyd, Herr Stipperger aus Wien (früher See-Officier), ein überaus liebenswürdiger und fein gebildeter Mann. Ich folgte mit Freuden seiner gütigen Einladung, einige Wochen bei ihm zu wohnen, und sicher konnte ich keinen angenehmeren und reizenderen Aufenthalt hier finden, als sein idyllischesh „Whist-Bungalow“. Diese Villa liegti am Ende der nördlichen Vorstadt von Colombo, Mutwal, ein Stündchen vom Fort entfernt, ungemein malerisch von dem prachtvollsten tropischen Garten umgeben.j Vor meiner Veranda mündet k ein stattlicher Fluß, der Kelani-Ganga, in das Meer, und die nächste Umgebung zeigtl eine auserlesene Auswahl der Natur-Schönheiten, anm welchen die südwestliche Küste von Ceylon so reich ist. ||

Die ersten beiden Wochen, welche ich in Colombo verlebte, erschienen mir wie ein Mährchen-Traum! Nach Allem, was ich seit 30 Jahren über die Pracht der Tropen-Flora und über ihren reizendsten Garten, über Ceylon gelesen, konnte ich mich nun an dem wirklichen Anblick ihrer Herrlichkeit gar nicht satt sehen! Tag für Tag, vom Morgen bis zum Abend, bewunderte ich die Palmen, deren edelste Gestalten hier durch Cocos, Talipot, Areca, Caryota u. s. w. vertreten sind; die Bambusen und Bananen, den Pandanus und die Riesenfeigen, die heiligen Banyanen mit ihren Luftwurzeln und n mächtigen Kronen; und nicht minder die Fülle der Lianen, der mannigfaltigen Kletter- und Schling-Pflanzen, die alle Stämme mit Girlanden und Fassons schmücken; die zierlichen und zum Theil riesigen Farne, und tausend o andere Wunderwerke der indischen Pflanzenwelt! Und das Alles in einem Glanze der Sonne, in einer Fülle des Lichtes, mit einer Wirkung der Schatten, von der wir armen Nordländer in Europa gar keine Vorstellung haben. Und dazu nun das braune Naturvolk Indiens mit allen seinen wunderbaren Eigenheiten, in grellem Gegensatze zu || der englischen Hyper-Cultur, die hier die Herrschaft führt. p Whist-Bungalow liegt mitten zwischen den Hütten der Eingeborenen, die hier in der primitivsten Einfachheit ihr idyllisches Dasein ohne Mühe und Sorge, wie es scheint fast ohne Wunschq verträumen.

Abgesehen von einer Anzahl Besuche, die ich in Colombo machte und von r Einladungen, s den Abgaben meiner Empfehlungs-Schreiben, welchen entsprechendet folgten, habe ich die ersten 14 Tage in Colombo eigentlich Nichts gethan! Denn vor lauter Schauen und Staunen konnte ich aufu den kleinen Excursionen, welche ich während dieser Zeit machte, weder zum v eigentlichen Arbeiten und Sammeln, noch zum Aquarelliren und Photographiren kommen.

Zu groß und zu mannichfaltig war die überreiche Fülle der wunderbaren Eindrücke, die sich auf jedem Schritte drängten. Um denselben alsbald die Krone aufzusetzen (wenigstens in botanischer Beziehung) fuhr ich am 3. December auf der Eisenbahn nach Kandy, der alten Königsstadt im Centrum der Insel. Die Bahn führt anfangs durch das üppigste Djungle, den Urwald-ähnlichen Buschwald des flachen Küstenlandes; später steigt sie 1500 Fuß hoch in das großartige Bergland von Kandy empor, mit prachtvollen Blicken in die grünen Thäler. Nahe bei || Kandy liegt der berühmte botanische Garten von Peradeniya, einer der schönsten und reichsten der Welt. Alles was die tropische Flora w von characteristischen und interessanten Pflanzen hervorzuzaubern vermag, findet man hier auf einer reizenden Halbinsel (eine englische Meile im Durchmesser) vereinigt, welche von einer hufeisenförmigen Windung des Mahawella-Flusses umschlungen und von waldigen Bergen umgeben ist. Ich verlebte hier in dem Hause des liebenswürdigen Directors des Gartens, Dr. Trimen, vier herrliche Tage, die ich zu den lehrreichsten und interessantesten meines Lebens rechne. Hier begegnete ich auch zum erstenmale x Tausenden der „fliegenden Füchse“, jener riesigen fuchsrothen Fledermäuse, deren y ausgebreitete Flügelhaut mehr als 4 Fuß breit wird.

Als eigentliches Hauptquartier für meine zoologischen Arbeiten z auf Ceylon wählte ich (nach vielfachen Erkundigungen) aa Weligama oder Belligemma, einen Ort von 4000 Einwohnern, welcher halbwegs zwischen Galle und Matara, an der Südwestküste der Insel liegt. Ich verlebte hier nahezu sechs Wochen, vom 12. December bis 18. Januar. Dieser Aufenthalt gehört zu den sonderbarsten und originellsten, || welche ich jemals auf meinen vielen Reisen gehabt, und er verdient ganz bb gewiß einen besondern Reisebrief. Ich will nur kurz hier erwähnen, daß ich der einzige Europäer unter lauter braunen Eingeborenen war, und daß diese sich ganz so benahmen, wie gutartige „Wilde“, denen die Wunder der Civilisation noch unbekannt sind. Die Einrichtung eines zoologischen Laboratoriums, wie das Arbeiten in demselben, auch das Fischen und Sammeln, stieß auf die größten Schwierigkeiten, die ich nur theilweise überwinden konnte. Trotzdem bin ich mit dem Erfolge meiner Arbeit dort sehr zufrieden; die Korallen-Bänke der schönen runden Bucht lieferten eine Fülle neuer und interessanter Thiere, die reizende Umgebung cc eine nicht minder große Fülle interessanter Aquarell-Motive für meine Skizzenbücher: Unvergeßlich werden mir vor Allem die üppigen Wälder, einige Meilen landeinwärts von Belligemma bleiben, in denen ich die ersten Affen und Palmenkatzendd, die ersten Pagageyen und Silberreiheree, schoß. Die Üppigkeit und Pracht der Vegetation, vor Allem der Lianen und Banyanen, ff besonders an den Ufern der Flüsse und der stillen Landseen, übertrifft hier alle Beschreibung.

Bevor ich von Belligemma nach Point de Galle zurückkehrte, machte ich einen sehr interessanten || dreitägigen Ausflug nach Matara, der Südstadt von Ceylon, und nach dem nahen Donner-Cap (Donderah-Head) dem südlichsten Vorgebirge der Insel. Mit einem Segel-Canot machte ich von hier noch eine weitere Excursion südwärts; nahe dem fünften Grade nördlicher Breite (– dem südlichsten Punkte, den ich im Leben erreicht –) stieß ich hier auf eine sehr interessante „Corrente“, eine straßenbreite Meeresströmung, die von einer Fülle merkwürdiger schwimmender Seethiere, darunter auch viele neue Arten, erfüllt war. In Point de Galle widmete ich eine Woche den Studien der prachtvollen Corallen-Bänke. Meine Naturalien-Sammlung wuchs hier dergestalt, daß ich 50 Kisten gg von Galle nach Jena senden konnte; davon kommen allein 30 auf Belligemma.

Der Monat Februar (– in Ceylon der schönste des ganzen Jahres –) soll größtentheils dem Besuche des Hochlandes und der Besteigung seiner höchsten Gipfel gewidmet werden. Ich verspreche mir davon um so mehr, als ich diese Reise großentheils in Begleitung des Botanikers Dr. Trimen zu machen und dabei einige der wildesten Distrcite der Insel zu sehen hoffe. Am 8. März geht der österreichische Lloyd-Dampfer von hier ab, mit welchem ich nach Triest zurückkehre. Dann sollen die „Reisebriefe von Ceylon“ wirklich geschrieben werden!

Mit freundlichem Gruße Ihr ergebenster

Ernst Haeckel

a gestr.: Rei; b gestr.: Um; c eingef.: Um; d eingef.: leisten; e gestr.: leisten; f gestr.: theile, eingef.: gebe; g gestr.: (mit; h gestr.: reizendes, eingef.: idyllisches; i gestr.: in, eingef.: liegt; j korr. aus: ; ; k gestr.: der; l gestr.: giebt, eingef.: zeigt; m eingef.: an; n gestr.: S; o gestr.: t; p gestr.: D; q eingef.: und Sorge, wie es scheint fast ohne Wunsch; r gestr.: den; s gestr.: welche; t eingef.: welchen entsprechende; u eingef.: auf; v gestr.: Ar; w gestr.: hervor; x gestr.: Hu; y gestr.: Flügel; z gestr.: wä; aa gestr.: und; bb gestr.: kurz; cc gestr.: des; dd gestr: Papageyen, eingef.: Palmenkatzen; ee korr. aus: Silberreiher; ff gestr.: übert xxx; gg gestr.: nach

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.01.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
GSA Weimar
Signatur
81/ V, 1, 3
ID
40306