Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen, Jena, 31. März 1912

Jena 31. März 1912.

Durchlauchtigster Herr Herzog!

Gestatten Ew. Hoheit, daß zu Ihrem Geburtstage meine Frau und ich Ihnen unsere herzlichsten Glückwünsche aussprechen. Mögen die mancherlei Mängel, die ein so hohes Alter mit sich zu bringen pflegt, Ihnen möglichst wenig fühlbar werden; und mögen die seltenen Kräfte des Körpers und Geistes, deren Sie sich bisher erfreuten, Ihnen auch fernerhin gestatten, aus den unerschöpflichen Gaben der Kunst und Wissenschaft lebendigen Genuß zu schöpfen, und dabei das wunderliche Theatrum mundi der Menschenwelt mit olympischem Interesse von oben zu betrachten. ||

Mit Sehnsucht denke ich jetzt, bei dem herrlichen Frühlingswetter, der genußreichen Wochen, die ich vor zwei Jahren in Mentone und Monaco verlebte, und besonders des ehrenvollen Besuches, den ich Ihnen und Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin auf Cap Martin abstatten durfte. Diese Riviera-Reise wird wohl – leider! – meine letzte gewesen sein. Denn die schlimmen Folgen des Hüftgelenk-Bruches, den ich vor 11 Monaten durch den Sturz in meiner Bibliothek erlitt, sind nicht zu beseitigen. Ich kann immer nur wenige Schritte, auf 2 Stöcke gestützt, mit Schmerzen gehen. ||

Vor wenigen Tagen starb hier der alte Ordinarius unserer Juristen-Facultät, der verdienstvolle und sehr beliebte Geheimerat August Thon, im 74sten Lebensjahre. Nun sind nur noch wenige Collegen aus der „alten Garde“ der Universität Jena übrig; und da ich zu den vielen neue eintretenden jungen Dozenten keine Beziehungen mehr pflege, bin ich sehr vereinsamt.

Außer den wenig erfreulichen Konflikten zwischen Gemeinde-Vorstand und Gemeinde-Rat, von denen Ew. Hoheit durch die Zeitungen unterrichtet sein werden, bewegt Jena jetzt am meisten der dringend notwendige Neubau des Stadt-Theaters, für den bereits eine halbe Million zusammengekommen ist. ||

Ew. Hoheit werden vermutlich mit so zahlreichen Glückwünschen zu Ihrem Geburtstage bedacht werden, daß ich Sie bitten möchte, sich nicht mit einer Antwort auf diesen bescheidenen Gratulations-Brief zu bemühen.

Mit ehrerbietigsten Grüssen und mit besten Wünschen für Sie und für Ihre hochverehrte Frau Gemahlin

Ew. Hoheit dankbarst ergebener

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
31.03.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Thür. Staatsarchiv Meiningen
Signatur
Hausarchiv, NL Helene von Heldburg, Nr. 1337
ID
40067