Ernst Haeckel an Helene Freifrau von Heldburg, Jena, 4. Februar 1895
Jena, den 4.2.1895
Hochverehrte Gnädige Frau!
Obwohl sie als Leserin der „Zukunft“ wohl schon von meinem vorgestern erschienenen Traktätchen „Die Wissenschaften und der Umsturz“ Kenntniß genommen haben werden, will ich doch nicht verfehlen, Ihnen pflichtschuldigst dieses vermessene „Corpus delicti“ meinerseits mit der Bitte um gnädige Aufnahme ergebenst zu Füßen zu legen. ||
Daran knüpfe ich die weitere Bitte, auch bei Ihrem Erlauchten Herrn Gemahl, falls derselbe von dem Pamphlet Kenntniß nehmen sollte, ein gütiges Wort zu meinen Gunsten einzulegen. Vielleicht dient es mir zur Entschuldigung, daß wir armen gehetzten Professoren, als die gefährlichsten „Umsturz-Männer“, uns im Stande der Nothwehr befinden. Wenn der berühmte „Neue Curs“ sich so weiter entwickelt, kommen wir doch am Ende noch auf den Scheiterhaufen und müssen uns mit Fitgers „Hexe“ trösten. ||
Falls ich diesem unangenehmen Geschick noch rechtzeitig entrinne, würde ich Sie, als Herrin der Heldburg, um eine Zufluchtsstätte auf diesem herrlichen Schlosse bitten. Vielleicht kann ich als Stubenmaler oder Gärtner Ihnen dienstbar sein.
Einstweilen hoffe ich jedoch noch, daß der „Umsturz von oben“ sich verzögert, und daß wir die hohe Ehre haben werden, Sie und den Durchlauchtigsten Herrn Herzog als hochwerthe Gäste in unserer bescheidenen Medusen-Villa am Leutra-Strome bewirthen zu dürfen. ||
Mit wiederholten besten Wünschen für Ihr Wohlergehen, und dasjenige Ihres Herrn Gemahls, bleibe ich, Gnädigste Frau, in aufrichtiger Verehrung
Ihr ganz ergebener
Ernst Haeckel.