Haeckel, Carl Gottlob (1781-1871)

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 25. Juni 1859, mit Beischrift von Charlotte Haeckel

Berlin 25 Juni 59.

Mein lieber Ernst!

Die kriegerischen Ereigniße und die darauf Bezug habenden Anstalten hatten uns wegen Deines dortigen ferneren Aufenthalts besorgt gemacht. Ich bin also bei dem Präses der Kreisersatz Commißion Geheimrath Pehlmann gewesen und habe ihn soeben gesprochen. Er hat mir soeben die Versicherung gegeben, daß Du vorläufig ruhig dort bleiben könntest. Dein letztes Attest lautet vom 1 October 1857. Dieses Attest ist das Maasgebende und darnach bist Du wegen Schwäche des rechten Knies zur Ersatz Reserve geschrieben und so lange diese nicht aufgerufen wird, kannst Du ruhig dort bleiben. Dieser Aufruf dürfte wohl erst beim Ausbruch eines wirklichen Krieges zwischen Preußen und Deutschland einerseits und Frankreich andrerseits eintreten. Dazu ist aber vorläufig noch keine Aussicht, Preußen hat noch neuerdings sich dahin ausgesprochen, daß es Oesterreich seine italiänischen Besitzungen in Bausch und Bogen, darunter ist besonders die Lombardei gemeint, nicht garantiren könne. Etwas anderes ist es, wenn Frankreich in Italien so mächtig eindringen sollte, daß auch das Intereße Deutschlands gefährdet werden sollte. Man nimmt an, daß dieses der Fall sei, wenn die österreichischen Festungen von Mincio, Mantua, Verona etc. für Oesterreich vorsetzlich gefährdet werden sollten. Dieses ist jetzt noch nicht der Fall. Man erwartet nächstens eine entscheidende Schlacht am rechten Ufer des Mincio, es wird ferner darauf ankommen, ob der Aufstand in Oberitalien wesentlich vorschreitet. England und Rußland wollen Oesterreich in Behauptung der bisherigen Stellung, insbesondere im Besitz der Lombardei nicht unterstützen. Sie werden es zufrieden sein, wenn diese sich frei macht. || Allein Oesterreich wird alle seine Kräfte aufbieten, um die Lombardei zu behalten. Dieses mag es auf seine Rechnung thun und dazu hat es noch große Mittel. Erst wenn diese erschöpft sind und Oesterreich die Lombardei nicht wieder erobern und nicht halten kann, wird die ernstliche Frage wegen der Theilnahme Deutschlands am Kriege entstehen und es dürfte daher vor dem Eintreten dieses Falls kein Krieg wirklich ausbrechen. Vielleicht treten die europäischen Mächte schon früher vermittelnd ein. Ob aber diese Vermittelung von Erfolg sein wird, ist die Frage. Die Entscheidung der Frage wegen der Theilnahme Deutschlands am Kriege kann sich also bis in den Herbst hinziehen. Bricht aber dieser aus, so wirst Du wohl zurück müßen. Es ist aber auch möglich, daß Napoleon die Sache nicht bis aufs äußerste treibt und sich damit beruhigt, wenn nur die bisherige Suprematie Oesterreichs über ganz Italien gebrochen wird, was Rußland und England ebenfalls wollen und daß Oesterreich, weil es pekuniär zu erschöpft ist, nachgiebt. In diesem Fall könnten wir bis zum Herbst Frieden haben, und Du könntest dann ruhig noch diesen Winter in Italien bleiben. Bei uns hier rüstet man sich vollständig, um für alle Fälle bereit zu sein und ein gewichtiges Wort mitsprechen zu können. So ist die gegenwärtige Lage der Dinge.

Aufa dem früheren Attest der Kreisersatz Commißion vom Aprill 1854 befindet sich auch das spätere vom 1 October 1857. Dieses letztere ist nach der heutigen Aeußerung des Herrn Pehlmann das maasgebende. Du hast aber noch ein späteres Schreiben vom vorigen Winter gehabt, wornach Du ebenfalls zur Ersatzreserve geschrieben warst. Dieses Schreiben nahmen wir vor einiger Zeit aus Deinen Papieren heraus und um es bald bei der Hand zu haben, wollte es Carl besonders asservirt wißen. Wir haben nun alle Papiere in meinem und Mutters Secretair durchsucht und können es nicht wieder finden. Mutter war deshalb sehr be-||sorgt, Herr Pehlmann meinte aber heute, darauf käme es nicht an. Das Attest vom 1 October 1857 sei das entscheidende. Mutter ist nun wieder beruhigter.

Mutter ist noch immer krankschälig; sie hat wenig Kräfte beim Gehen. Zu Tante Bertha kann sie hin und zurück fahren, nicht aber weitere Touren machen. Sonst ist sie munter. Nach Freyenwalde haben wir, wie gewöhnlich, schlechtes Wetter gebracht, auch wurde es nach großer Hitze sehr kalt, so daß ich mich sehr erkältet habe. Doch haben wir einige hübsche Touren gemacht. Carl bleibt vorläufig auch ganz ruhig in seinen Verhältnißen. Wir werden wahrscheinlich in der letzten Woche des Juli auf 4–6 Wochen nach Freyenwalde gehen. Mutter wird dort baden. Sonst werden wir keine Reise machen. Tante Bertha ist munter, Gertrud wird Ende Juli aus Aurich zurückkommen. Theodor ist hier und arbeitet sehr fleißig als Referendarius, da er wegen seiner körperlichen Constitution nicht zum Militärdienst eingezogen wird. Heinrich Sethe, Dein künftiger Schwager, ist jetzt bei den Landwehrübungen in Pommern, Carl Sethe ist bei dem 3ten Armee Corps, welches mobil gemacht ist und wohl an den Rhein gehen wird. Minchen wird nach Wiesbaden ins Bad gehen und Anna hoffentlich einige Wochen bei uns (in unserer Wohnung) bleiben.

Vor einigen Tagen haben wir Kortüm begraben, seine Kräfte hatten schon seit einem Jahre sehr abgenommen. Ottilie ist wieder nach Schlesien zurück. Das Wetter ist außerordentlich fruchtbar, öfters Regen und nicht zu heiß. Sonst wüßte ich Dir vorläufig nichts zu schreiben. Lebe wohl und bleibe gesund und benutze Deine Zeit aufs beste. Mit Deinem ökonomischen Haushalt bin ich zufrieden. Dein Dich liebender Alter Vater

Haeckel. ||

[Beischrift von Charlotte Haeckel]

Mein lieber Herzens Sohn! Wie sehr ich mich in Gedanken mit Dir beschäftige, brauche ich Dir nicht erst zu sagen. Gott erhalte Dich nur gesund und gebe uns ein frohes Wiedersehn. Bereite Dir nur nicht zu viel, und unternimm nichts was Deiner Gesundheit schadet. – Dr. Krause aus Kiel ist hier, vorgestern Abend war er zum Thee bei uns, auch Marthens und Deine Anna. Dr. Krause sprach mit großer Liebe von Dir. Georg Reimer hat Deine gedruckte Arbeit geschickt. Dr. Krause wünschte sie zu lesen und ich habe ihm ein Exemplar mitgegeben; soll er es behalten? oder nehme ich es wieder, wenn er es bringt. Gestern trafen wir bei Frau Professor Weiß Chamisso, der hat auch Order, ist aber noch nicht eingezogen und noch in seiner Stellung. Er läßt || Dich schön grüssen, wie auch Marthens, Dr. Krause und Theodor; wen ich von Bekannten sehe, die tragen mir immer Grüsse auf. –b || Nun leb wohl, mein lieber Sohn, Gott befohlen. Behalte lieb Deine alte Mutter. –c || Die beiden Braunschen Töchter haben Dienstpfingsttag Hochtzeit gehabt. Mathilde Ehrenberg ist Braut mit dem Chemiker Rammelsberg.d

a korr. aus.: Außer; b Text weiter am linken Rand von S. 3: Dich schön … Grüsse auf. –; c Text weiter am linken Rand von S. 2: Nun leb … alte Mutter. –; d Text weiter am linken Rand von S. 1: Die beiden … Chemiker Rammelsberg.

 

Letter metadata

Datierung
25.06.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 39190
ID
39190