Ernst Haeckel an Agnes Haeckel, Le Croisic, 5. September 1878
Le Croisic
près de St. Nazaire
Donnerstag 5 Sept 1878
Ihr theuren Lieben in Jena und Berlin!
Endlich bin ich heute glücklich an dem ersehnten Orte der Ruhe und Arbeit angekommen, einem kleinen Fischerdorfe und Badeort, (ähnlich Heringsdorf) wo ich einige Wochen in stiller Abgeschiedenheit dem Studium meiner lieben Medusen leben werde. Nachdem ich gestern aus St. Nazaire Euch meine glückliche Ankunft früh morgens gemeldet, machte ich einen längeren Spaziergang längs der Küste nach N.W. und entdeckte dabei eine ganze Masse riesiger, vom Meere an die Küste geworfener herrlicher Medusen. Ihr Anblick machte mich ganz glücklich! ||
Ich habe nun endlich, nach so vielem vergeblichen Suchen, das reiche Material zur Medusen-Anatomie gefunden, dass ich brauche. Ich denke hier viel Medusen einzupökeln und nach Jena zu schicken.
Sehr froh bin ich, der aufreibenden Unruhe von Paris, den zahllosen Besuchen und Bekanntschaften, endlich glücklich entzogen zu sein. Diese 14 Tage in Paris waren zwar sehr interessant und lehrreich, aber nichts weniger als angenehm. Ich wurde zuletzt förmlich „nervoes“ und bekam jedes Mal einen Schreck bei jedem neuen Besuch! ||
Heute (Donnerstag) bin ich morgens in 3 Stunden per Post hierher gefahren und habe mich in einem einfachen Fischerhause einlogirt. Unmittelbar vor dem Hause ist ein Hafen-Arm, in welchem die schönsten Medusen dutzendweise umherschwimmen. Heute bin ich sehr müde, und schließe, damit der Brief noch mit fort kommt. Nächster Tage mehr!
Mit herzlichsten Grüßen
Euer treuer Ernst.
Adresse:
verte: ||
Adresse:
Capitain Thobie,
sur le port du Croisic,
près de Saint Nazaire,
(via Paris) (France)
Laß mir durch Pohle die Jenaer Zeitung unter Kreuzband schicken!! Beifolgendes Blatt bitte ich baldigst an Herrn Giltsch zu schicken; den Brief an Mutter.
Herzlichste Grüße und Küsse an Dich und die Kinder liebste Agnes!
In Eile
Dein Ernst