Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Karl Haeckel und Agnes Haeckel, Paris 21. August 1878

Paris 21. Aug 78

Ihr Lieben in Jena und Berlin!

Gestern Abend bin ich wohlbehalten hier in Paris angelangt. Montag 19. fuhr ich früh 6 Uhr bei schönstem Wetter aus Heidelberg, über Ludwigshafen, Neustadt (an der Hardt) durch das malerische Hardtgebirge nach Neunkirchen, dann weiter durch die Pfalz und durch das Steinkohlenbecken nach Saarbrücken, über Forbach nach Metz, wo ich um 1 Uhr Mittag anlangte und 3 Stunden blieb. Ich bestieg den hohen Thurm des schönen gothischen Doms, der || eine prächtige Aussicht über das ganze fruchtbare Moselthal bietet, rings herum der Kranz vom mächtigen Forts, in denen 1870 Bazoine mit seiner Armee eingeschlossen war. a Auch die Esplanade bietet eine hübsche Aussicht. Das innere des Doms, der aus graugelbem Sandstein besteht, ist edel gothisch, mit magischen bunten Fenstern. Der Widerwille der französischen Bevölkerung gegen die deutsche Herrschaft ist allenthalben noch sehr sichtbar. Um 4 Uhr fuhr ich weiter, unter heftigem Gewitter bei Pagny über die französische Grenze (sehr milde Zoll-Visitation) weiter nach Nancy, wo ich um 5½ U. b anlangte und die Nacht im Hôtel de Metz blieb. ||

Unterwegs hatte ich die Bekanntschaft eines netten jungen Kaufmanns aus Nürnberg gemacht (Diettrich aus der Kaiserstraße), mit dem ich auch bis Paris fuhr. Wir sahen uns den Abend noch die schönen Straßen und Plätze von Nancy, der alten Hauptstadt von Lothringen an; besuchten auch noch eine Menagerie mit Löwen-, c Affen- und Elephanten-Productionen; recht amüsant.

Dienstag 20. früh 6 Uhr aus Nancy, in 10 Stunden nach Paris gefahren, mit dem Bummelzug (III. Cl!) über Toul, Bar le Duc, Chalour, Epernay, durch das Marnethal, entlang der großen Kriegsstraße von 1870–71. ||

Die Fahrt war landschaftlich hübsch, viel fruchtbares und anmuthiges Hügelland; historisch interessant durch die vielen Kriegs Erinnerungen. Nachmittags 4 Uhr kam ich in Paris auf dem Ost Bahnhof an und bezog zunächst ein Zimmer in dem nahe gelegenen Hôtel du Telegraph (8 Franken = 6 Mk für eine Nacht!) Heute habe ich mir eine Studenten Wohnung im Quartier Latin gemiethet, 6 Treppen hoch unter’m Dach! Für 3 Frcs (2½ Mk) pro Tag. Adresse: Hôtel Gaӱ-Lussac Rue Gaӱ-Lussac, Nr 29d e Heute habe ich verschiedene Besuche gemacht und wurde (auch von den Collegen) sehr freundlich aufgenommen.

Bald Näheres! Heute eiligst

Euer E.

a gestr.: D; b gestr.: b; c gestr.: und; d späterer Vermerk Haeckels: 29; e gestr.: [xxx]

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.08.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39042
ID
39042