Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Agnes Haeckel, Potsdam, 9. April 1869

Potsdam Freitag 9. April

Mein liebes süßes Weibchen!

Lieblichstes Geschöpfchen!

Obgleich ich erst einen Tag von Dir fort bin, kommt mirs doch viel länger vor! Meine Sehnsucht nach Dir und unserem lieben kleinen Wälti ist groß, und ich werde machen, daß ich bald wieder zurück komme! Bei Dir zu Hause ist‘s doch am besten!

– Nun wirst Du aber lieber Was von der Reise hören, als so überflüssige Gefühlsergüsse, aus denen Du kaltes und zurückhaltendes Verstandes-Geschöpfchen Dir doch einmal nicht viel machst!

Höre also! Von Jena bis Apolda hatte ich am Mittwoch Mittag gute Gesellschaft im Coupé des Bummler, ein Dr. phil. Slevogt (Lehrer am Gymnasium in Gotha) ein früherer Jenenser und zugleich einer von Deinen 10,001 Günstlingen und Verehrern! Es war übrigens ein recht netter und unterhaltender junger Mann, trotzdem (!) er nicht weit von Jena geboren war!! Um so schlechter war die Gesellschaft von Apolda bis Halle, wo mich ein unglücklicher Zufall mit Moritz Schmidt in einem Coupé III. Cl. zusammenführte! ||

Um 8½ Uhr war ich in Magdeburg, wo ich meinen alten Freund und Lehrer, Carl Gude, alsbald antraf und einen Abend in traulichem Gespräch mit ihm zubrachte. Leider ist der arme Mann sehr hypochondrisch und voll Grillen, und macht sich das Leben recht schwer. Das kommt davon, wenn man sich nicht zur rechten Zeit verheirathet! Es gibt doch kein größer Glück als eine gute Frau!

Die Nacht im Gasthofe (Hôtel Edels zu Magdeburg war miserabel, das Bett ¾ Fuß kürzer als ich, und selbst italienische und romanische Insecten-Erinnerungen fehlten nicht! Donnerstag Morgen um ½ 7 Uhr fuhr ich nach Potsdam, wo ich um 9½ Uhr ankam und meinen Bruder überraschte. Er freute sich sehr, ebenso die Kinder, welche allerliebst waren. Heute wird der Jüngste 3 Jahre alt. Wir machten gestern keinen Spaziergang, da ich leider das schöne Wetter in Jena gelassen habe. Hier ist Nebel und Regen! ||

Berlin Sonnabend 10/April 69

Also bist Du mir wirklich zuvorgekommen, liebster Schatz, und hast mich durch Deinen lieben Brief überrascht, der mich heute beim Essen erfreute. Ich bin heute Morgen um 8 Uhr von Potsdam hergefahren. Gestern Abend hielt ich daselbst in der literarischen Gesellschaft meinen Pik-Vortrag, der mir a sehr viel Lob einbrachte und laut beklatscht wurde. Nachher war ich noch mit den Lehrern des Gymnasiums zusammen, recht netten und gescheuten Leuten, es wurde viel über Darwin disputirt. Mehrmals wurde ich auch angeredet, ob ich derselbe sei, der die „berühmte“ Schöpfungsgeschichte geschrieben habe, was Dich vermuthlich geärgert haben würde, Du kleines Strickchen, nicht wahr, mein Schatz?? ||

Hier fand ich heute Morgen muss alles in großer Verwirrung wegen des bevorstehenden Umzugs, der Montag stattfinden wird. Meinen lieben Vater, dem es seit 14 Tagen wieder entschieden besser geht, fand ich wohler als zu Weihnachten. Meine gute Mutter freute sich sehr, ihr Söhnchen einmal wieder zu haben. Ich musste ihr Viel von Dir und Wälti erzählen. Um 10 Uhr ging ich in die Stadt, um beim Buchhändler etcb mehrere notwendige Besorgungen und Bestellungen zu machen. Als ich zu Tisch zurückkam, überraschte mich Dein lieber Brief, mein Herzchen, für den ich Dir Vielmals danke! Jetzt (um 4 Uhr) will ich zu Reimers gehen und die Würste etc hinbringen. – Was wünschst Du Dir denn mitgebracht zu haben? Ich glaube Du wolltest einen neuen Lappen haben! Was für einen? Soll ich mit Hülfe von Marie Dir was aussuchen? Nun lebe recht wohl, süßes Schätzchen, und sei mit unserem süßen Wälti 1000 mal gegrüßt und geküßt von

Deinem treuen Ernst

Mutter und Vater lassen Dichc und die Deinigen vielmals grüßen.d

a gestr.: auch; b eingef. mit Einfügungszeichen: etc; c korr. aus: sich; d Text weiter am linken Rand von S. 4: Mutter … grüßen.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.04.1869
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39014
ID
39014