Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Agnes Haeckel, Down, 6. September 1879

Down, Beckenham, Kent,

Sa. 6. Sept. 79.

Liebste Agnes!

Diesen Gruß schicke ich Dir von Darwin’s Gute, auf welchem ich seit gestern Nachmittag verweile. Ich werde nur noch 2 Tage in London sein, fahre Montag Abend nach Rotterdam in Holland werde wahrscheinlich nur 2–3 Tage in Leyden bleiben (wegen der Medusen-Sammlung) und denke nächsten Sonnabend wieder bei Dir liebstem Schatz einzutreffen. ||

Trotzdem ich Viel Interessantes gesehen und Viel Neues gelernt habe, bin ich doch recht froh, daß die Reise zu Ende geht. Ich fühle mich in England niemals behaglich, und die schwere Lebensweise hier ist mir ganz zuwider. Ich freue mich sehr auf mein einfaches stilles Daheim!

Für Deinen lieben Brief herzlichsten Dank. Hoffentlich ist Deine Erkältung heute über 8 Tage, wo ich wieder bei Dir bin, ganz gehoben! In Gedanken küßt und umarmt Dich schon heute

Dein treuer Ernst.

Wahrscheinlich ist dies mein letzter Brief! Alles Andere bald mündlich!a ||

Sa. 30. und So. 31. Aug 1879 in Perth, Villa Rosebank, bei Familie James Puller. Prächtige Villa in schönster Lage am Fuße des Kenolly-Hügels, mit weiter Aussicht über das grüne Tay-Thal und die Stadt Perth. Sa. besuchten wir die großen Fisch-Zucht-Anstalten am Tay-Ufer (Salmon-Breedings, Lachs-Zuchten; die jungen Lachse, zu vielen Tausenden in einem Becken, werden bis zum 2. Jahre bloß mit gekochter Schaaf-Leber gefüttert. Im 2. Jahre werden sie entlassen, gehen ins Meer und kehren im 3. Jahre wieder in den Tay zurück. ||

Sonntag 31. Aug. machte ich mit Murray von Perth einen Ausflug zu Wagen (in 2 Stunden) nach Murthly, 2 Std nördlich von Perth, eine große Irren-Antalt, deren Director Dr. Mac Intosh, zugleich Zoologe ist und eine hübsche Sammlung niederer Seethiere hat. Er lebt allein mit seiner Schwester; beides sehr wunderliche und steife Leute; übrigens waren sie so liebenswürdig, als es ihr Naturell zuließ. Ich fand daselbst mehrere Lucernarien und ein seltenes sehr werthvolles Buch von Delle Chiaje. ||

Sonntag Abend machte ich noch mit den Kindern von Pullers einen hübschen Spaziergang auf den Kenolly Hügel, mit schöner Aussicht nach Osten auf das Tay-Thal (Steile Felsen mit altem Schloß).

Montag. 1 Sept. ließen wir 3 Reisegefährten uns in Perth im Reisekostüm photographiren. Dann reiste Rottenburg nach Glasgow zurück. Ich mit Murray nach Bonside zu Sir Wyville Thomson, wo ich mit Mr. Barclay von Abbotsford zusammentraf. Ich blieb die Nacht über in Bonside und fuhr am folgenden Morgen um 10 Uhr nach Edinburgh, wo ich um 12 U. eintraf. ||

Dienstag 2. Sept. in Edinburgh Koffer und Kisten gepackt. Besuch von meinem alten Freunde Alex. Cowan, den ich seit 22 Jahren nicht gesehen hatte. Wir hatten in Berlin und Wien zusammen studirt. Er war Arzt in Indien gewesen, ist jetzt Besitzer einer großen Papier-Fabrik. Sehr heiteres Abendessen mit Murray, Cowan und Abbe Renard (einem Jesuiten aus Louvainb, der einen Theil der Geologie des Challenger bearbeitet). Wir sagten uns gegenseitig die größten Complimente. Abends 10 Uhr fuhr ich (‒ auf Kosten der englischen Regierung! ‒) in einem Pullman-Schlafwagen erster Classe (höchst bequemes Bett!) in 10 Stunden von Edinburgh nach London, wo ich Mittwoch 3. Sept. früh 8 U. eintraf.

a Text weiter am oberen Rand von S. 2: Wahrscheinlich … mündlich!; b korr. aus: Liege

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.09.1879
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38998
ID
38998