Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 16. Februar 1875
Jena 16 Febr 75
Liebste Mutter!
Für Deine beiden lieben Briefe von heute und gestern und für Deine herzlichen Glückwünsche zu meinem heutigen Geburtstag will ich Dir gleich heute meinen Dank sagen. Hoffentlich gehen Deine guten Wünsche für uns in Erfüllung.
Die gestrige Nachricht von Tante Augustens Tod, der Dir besonders nahe gehen wird, hat mich recht betrübt, obwohl man ihr bei ihrem langen und schweren Leiden wohl die endliche Erlösung wünschen mußte. Aber es geht damit doch wieder ein Glied aus der Kette unserer nächsten Lieben verloren. ||
Ich habe meinen heutigen Geburtstag, der ja ohnehin immer reich an den wehmüthigsten Erinnerungen ist, nicht unter sehr erfreulichen Verhältnissen angetreten. Agnes und alle drei Kinder sowie die Köchin, haben seit 4 Tagen Grippe, Fieber mit heftigem Catarrh. Die halbe Stadt Jena leidet wieder an Grippe, was bei den starken Witterungs-Kontrasten freilich nicht wunderbar ist. Mehrere Tage, und noch vorgestern hatten wir –17° Kälte, heute wieder +3° Wärme. Ich selbst habe auch etwas Catarrh, aber kein Fieber || und kann doch meine Vorlesungen regelmäßig halten.
– Mit deinen Ansichten über die religiöse Erziehung der Kinder bin ich ganz einverstanden, liebe Mutter. Ich halt auch dieselbe für paedagogisch nothwendig, und ebenso Agnes. Die Kinder sagen auch jeden Abend vor dem Zubette gehen ihr Nachtgebet: Lisbeth sagt dabei nur öfter, statt: „Vergiß auch nicht dein Nachtgebet“ − Nachtpacket! Sie sagt auch statt: Menagerie: „Närrsche Marie“! und statt Serviette immer: „Lauriette. ||
– Die neuen Papiere von mir behalte nur einstweilen dort, liebe Mutter. Von den Zinsen, die Du Anfang April einnimmst, kannst Du ankaufen, was Du für zweckmäßig hältst. Herzuschicken brauchst Du Nichts. Das Honorar für die 6. Aufl. der Schöpfungsgeschichte bekomme ich erst im Herbst.
– Richard Hertwig, a der sich in diesen Tagen hier habilitiert hat, rüstet sich mit mir zur Reise. Am 1. März (Montag) reisen wir ab.
– Agnes grüßt herzlich. Nochmals vielen Dank und herzlichste Grüße, liebste Mutter,
von
Deinem treuen
Ernst
a gestr.: und