Ernst Haeckel an Karl Haeckel, Jena, 18. September 1893
Jena, den 18. Sept. 1893
Liebster Bruder!
Zum Beginn Deines siebenzigsten Lebensjahres senden ich und meine Frau Dir unsere herzlichsten Glückwünsche. Möge dieser wichtige Zeitabschnitt für Dich noch der Beginn eines schönen, heiteren und friedlichen Lebens-Abends sein, wie Du ihn nach einem langen und wechselvollen, in treuester Pflichterfüllung vollbrachten Leben reichlich verdient hast. ||
Da ich Dir gern zu Deinem Geburtstage eine Freude machen möchte, bitte ich Dich, meiner Kasse 100 Mk zu entnehmen und dieselben entweder zu einem solennen Familien Schmause zu verwenden, oder zu einem anderen, Dir Vergnügen bereitenden Objecte. Hoffentlich habt Ihr zum 20. September schönen Herbst-Sonnenschein, und könnt in Eurer schönen Potsdamer Natur fröhlich zusammen im heiteren Familien-Kreise sein! ||
– Über den Ausfall meines am 21. Sept. stattfindenden Hamann-Casus werde ich Dir alsbald berichten; ich sehe ihm – bei bestem Gewissen! – mit großer Gemüthsruhe entgegen. Jedenfalls werde ich (– da ich auch einem meiner Schüler ein Reise Stipendium vorstrecke –) demnächst viel Geld brauchen und bitte Dich – wenn möglich – mir in den nächsten Tagen 400–600 Mk zu schicken. Die übrigen eingehenden Zinsen nehme ich im October mit. ||
– Heinrich, dem ich seine Erlösung aus dem siebenjährigen Sklavenleben der klinischen Assistenten-Arbeit von Herzen gönne, freut sich sehr auf seine, Anfang October beginnende Reise nach der Riviera. Er ist sehr munter.
Sonst herrscht hier noch große Ferien-Stille. Ich benutze die freien Wochen zur totalen Revision und Ordnung meiner schönen Zoologischen Bibliothek (Werth jetzt cc. 90 Mille Mk! –), die ich dem Zoologischen Institut geschenkt habe.
Mit besten Grüßen und Wünschen
Dein treuer Ernst.