Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, München, 26. August 1862, mit Beischrift von Anna Haeckel, geb. Sethe

München 26. 8. 62. Dienstag

Liebste Eltern!

Euch gewiß unerwartet schreibe ich euch heut aus München, wo wir gestern Abend (Montag) angekommen sind. Wir blieben Sonntag noch in dem außerordentlich schönen Passau und wollten gestern früh von dort nach Linz (mit Dampfschiff) und dann in das Salzkammergut gehen. Anhaltendes dreitägiges Regenwetter, das auch heute noch fortdauert, bestimmte uns aber, statt dessen gestern mit der Eisenbahn über Straubing, Geiselhörig, Freising nach München zu fahren, wo wir im Hôtel Leinfelder trefflich logirt sind. Wir warten nun hier ab, bis gut Wetter wird und gehen dann sogleich ins Gebirg nach Salzburg, Ischl, Aussee etc. Wir haben beide große Sehnsucht nach Nachricht von euch, da wir nun ja die nach Ischl geschickten Briefe erst in einigen Tagen bekommen. Bitte, schreibt also baldigst hierher nach München, poste restante. Kommen auch die Briefe erst nach unserer Abreise an (da wir ja nicht wissen, wie lang das Regenwetter uns hier hält) so lassen wir sie uns von der Post weiter nachschicken. ||

Trotz des schlechten Regenwetters, das uns von Regensburg an begleitet, sind wir doch die ganze Zeit über höchst vergnügt und glücklich gewesen und haben die uns gebotenen Natur- und Kunstgenüsse im reichsten Maaße genossen. Ihr könnt euch kaum vorstellen, liebste Eltern, wie glückselig mich meine liebe kleine Frau macht, die ich mit jedem Tage lieber gewinne, obwohl ich das fast nicht mehr für möglich hielt. Das lebhafteste Interesse für Natur und Kunst fesselt uns beide dabei immer noch inniger an einander, als es schon durch die reine Neigung allein geschah. Ich kann mir nicht denken, daß jemals ein junges Ehepaar eine vergnügtere Hochzeitsreise gemacht hat. Dazu kommt, daß ich mich, nachdem die 3 letzten Correcturbogen der Radiolarien in Dresden abgeschüttelt sind, wie neu geboren fühle und die ganzen 3 Jahre angestrengter Arbeit, die das Buch gekostet hat, nun auf einmal abgeschlossen hinter mir liegen. Kurz, ich bin ebenso wie meine herzige Anna, so vergnügt, übermüthig und glückselig, als es in diesem Leben nur möglich ist, und beneide keinen Gott um seinen Olymp! ||

Das Einzige, was mir bisweilen auf Augenblicke einen Schrecken einjagt, sind die liebenswürdigen Gedenkblätter mit Zahlen, welche uns die Herren Gastwirthe bei der Abreise immer zur freundlichen Erinnerung überreichen! Wir müssen ihnen außerordentlich liebenswürdig vorkommen, daß sie uns so theuer schätzen! Im Ganzen brauchen wir täglich nicht das Doppelte, sondern das Vierfache von dem, was ich täglich sonst auf jeder Reise gebraucht habe. Indessen trösten wir uns über dieses nothwendige Übel, da der treffliche Zustand unserer Finanzen selbst noch excessiveren Ausgaben vollkommen gewachsen ist. Mit unserer beider Gesundheit geht es ganz vortrefflich. Anna sowohl als ich, sind äußerst munter und wohl und fühlen uns trefflich behaglich und glücklich in jeder Beziehung.

Gebt diesen Brief an Mutter Minchen auch und grüßt sie herzlich, ebenso Tante Weiß, T. Bertha, T. Gertrude, die Freienwalder etc. Schreibt uns recht bald, München poste restante und seid aufs herzlichste gegrüßt von eurem

glückseligen Ernst.

[Beischrift von Anna Haeckel, geb. Sethe:]

Ich füge in aller Eile, liebe Eltern, einen freundlichen Gruß aus glückseligem Herzen hinzu und bitte Euch, Mutter diesen Brief zu geben, von der ich mich sehr nach Nachricht sehne. Seit Karl uns schrieb, sie sei munter, sind acht Tage vergangen. Nicht wahr liebe Mutter, Du schreibst gleich hierher, nach München, wo wir gestern Abend 6 Uhr angekommen sind. Der Eindruck, den die schöne Ludwigstraße mit ihren Prachtbauten auf mich machte, war um so überwältigender, da gerade gestern in derselben Straße das Ludwigs- Denkmal enthüllt worden war und in Folge dessen sämmtliche Häuser aufs Geschmacksvollste mit bunten Teppichen und Kränzen geschmückt waren und die Menschen in bunten Massen auf den Straßen wogten, was hier sonst nicht der Fall sein soll. Jetzt geht es in die neue Pinakothek, auf die mein lieber Ernst förmlich brennt. Grüße alle Verwandten und Bekannten herzlich von mir und sage ihnen, und sei Du selbst versichert, ich bin unendlich glücklich und so frisch und wohl wie ich es nur wünschen kann. Nach und nach wird es um Dich herum stiller geworden sein; gräme Dich nicht, sondern freue Dich über Deine glückselige Tochter. Heinrich und Helene besondern Gruß; gebt uns bald Nachricht von Euch und vergeßt nicht die kleine Professorin.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
26.08.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37772
ID
37772