Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 30. Juni 1862

Jena 30. Juni 1862.

Liebste Mutter!

Glücklicher und fröhlicher habe ich Dir noch nie zu Deinem Geburtstage Glück gewünscht, als diesmal, wo ich zwar wieder nicht persönlich a deinen Festtagb mitfeiern helfen kann, aber doch mit ganz besonderer Liebe und Freude in Gedanken bei Dir sein werde! Aus Geburtstagsgeschenken machst Du Dir zwar Nichts; indeß muß es Dich doch diesmal freuen, wenn ich Dir Deinen Ernst als Professor zum 1sten Juli aufbaue, dem dann in 7 Wochen der Ehemann folgen soll. Ich weiß, wie sehr Du Dich über mein Glück mit mir freust! Wenn wir in 6 Wochen zusammen sind, wollen wir auch Deinen Geburtstag noch einmal nachfeiern, wobei Du dann recht stolz auf Deinen Herrn Sohn als hoffnungsvollen Professor hinblicken kannst! || Hoffentlich trittst Du Dein neues Jahr recht gesund und munter an und bleibst uns noch recht lange so frisch und gesund erhalten, damit Du Deinen Sohn in Jena noch recht oft besuchen kannst. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie ich mich schon darauf freue, Euch beide lieben Alten nächsten Sommer hier in meinen eigenen 4 Wänden zu beherbergen und in der reizenden Natur Jenas umherzuführen. Ich bin gewiß, daß es euch so sehr gefällt, daß ihr gar keine größere Sommer- Reise mehr für nöthig halten werdet und statt nach Teplitz oder in ein Anders schlechtes Bad zu gehen, lieber in das herrliche Saalthal nach Jena kommen werdet. Die Bergluft ist hier so köstlich, die Vegetation so frisch und reich, die Berge so schön und mannichfaltig geformt, daß man in der That nie müde wird, diese Schönheit zu bewundern. || Dir, liebe Mutter, wird die Gegend noch besondersc dadurch gefallen, daß man darin sehr viel spazieren sitzen kann, und ohne seine Beine in Bewegung zu setzen, die herrlichsten Naturschönheiten reichlich genießen kann. So z. B. habe ich schon von meiner Wohnung aus die schönste Aussicht fast, die hier zu finden ist, und du kannst Dich gewiß nicht satt sehen an den Bergen, die Du ja aus der Ferne ganz besonders liebst! Aber auch zum Spazierenfahren ist reichliche Gelegenheit und wir wollen in den Thälern und Wäldern schon recht ordentlich herumkutschiren. Meine Wohnung werde ich wahrscheinlich behalten, da augenblicklich keine bessere aufzutreiben ist. Es ist gerade jetzt großer Mangel. Ich werde dann zu dem oberen Stock, den ich jetzt bewohne, noch unten die Hälfte der Bel- Etage, nämlich eine sehr schöne große Stube, Küche, Schlafstube, Keller etc. hinzubekommend. Die Miethe stellt Herr Böhme sehr billig, nämlich für alles zusammen nur 70 rl. ||

Tante Weiss, die ja wohl morgen Dein Fest verherrlichen wird, grüße recht schön! An Ernst Weiss habe ich schon vor etwa 14 Tagen geschrieben. Ich habe übrigens bis jetzt erst einen einzigen Brief (und zwar durch Tante Weiß) erhalten. Vater schreibt, daß Ernst Weiss 3 Briefe geschrieben habe. Dann müßten also 2 verloren sein. Vaters Brief habe ich gestern erhalten und danke dafür bestens. Daß er den Plan, mich mite Carl noch auf der Hinreise nach dem Rhein zu besuchen, nicht ausführen kann, ist recht Schade! Um so mehr wollen wir dann aber im künftigen Sommer das Zusammensein genießen, worauf ich mich ungeheuer freue. Wenn Carl morgen nicht bei euch ist, schicke ihm gelegentlich einliegendes Blatt. Grüße Vater, Carl, Tante Weiss etc recht herzlich. Seid morgen recht munter und vergnügt und denkt dabei an Eurenf treuen Professor Ernst, der morgen in Gedanken recht bei euch sein wird.

a gestr.: an; b korr. aus: Festtage; c eingef.: besonders; d eingef.: hinzubekommen; e korr. aus: mich; f korr. aus: Deinen.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
30.06.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37770
ID
37770