Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 3. Oktober 1877

Potsdam 3/10 77

Mein lieber Sohn!

Mit banger Sehnsucht hatte ich auf Nachricht von Euch Lieben gehofft, wußte ich es, daß Ihr krank von München abgereist wart. Gott Lob Dein gestern Abend hier eingetroffener Brief hat mich beruhigt, hab Dank dafür. Hoffentlich haltet Ihr Euch nun frisch, und geniesset ungetrübt die südlichen Naturschönheiten. Ungemein freut es mich, daß Agnes so viel Schönes genießt, das ist ein Genuß fürs ganze Leben, wird ihr doch das zu Theil, was ich || in meiner Jugend sehnlich gewünscht hatte.

Daß Ihr gute Nachricht von Eueren Kindern habt, freut mich, Walter wird an seinem Geburtstag viel an Euch gedacht haben, ich habe ihm geschrieben.

Karl konnte ich Deinen Brief noch nicht mittheilen, er war nicht zu Hause als ich dort war. Hier ist eine Ausstellung von Obst und Bäumen im Orangerienhause, der Prinzipal von Herrmann in Celle betheiligt sich auch dabei, und hat Herrman [!] hergeschickt zur Besorgung seiner Geschäfte, der ist dazu schon seit Sonn-||abend hier, aber so beschäftigt, daß ich ihn nur flüchtig gesehn habe. Heute ist die Versammlung eröffnet, und wird glaube ich bis Sonntag dauern, da wird es an Reden wieder nicht fehlen, und Rundfahrten durch die königlichen Gärten werden gemacht. – Von allen Herrlichkeiten wird Deine alte Mutter natürlich nichts sehn. Denke aber nicht daß ich noch krank bin, nein nur noch schwach, das letzte Unwohlsein hat mich tüchtig mitgenommen und bei alten Leuten ersetzen sich die Kräfte nicht wieder. – || Wenn nichts dazwischen kommt denke ich den15. zu Bertha zu reisen, ihren Geburtstag mitzu feiern, und den 21sten wieder heimzu reisen. Ich nehme mein Mädchen mit, und schliesse die Butieke. –

Karl mit den Kindern sind gesund, Siegfried hat den ersten Zahn gut bekommen.

Gestern besuchte mich Bertha Pine auf einen Augenblick, die sagte mir; sie fände doch, daß es Bertha etwas besser ging. Hoffentlich finde ich sie wohler als sie esa hier war; da war ich gar nicht zufrieden. || Mit Theilnahme hat es mich erfüllt, was Du über Frau Seebecks Augenleiden schreibst, wie manchen schweren Kampf wird sie durchzumachen haben, Erblinden ist immer schwer, aber wie wird es ihr sein, dadurch so abhängig zu werden. Gott gebe ihr Kraft sich ergeben in so vielen Entsagungen zu finden, die sie zu üben hat. – So natürlich ich es finde, daß die beiden alten Leute in Jena bleiben, so wird es für ihn doch auch manches zu überwinden geben, wenn er seinen Nachfolger sieht herrschen an seiner Stelle. ||

Deine liebe Frau grüsse herzlich von mir, hilft sie Dir Medusen untersuchen? Seefahren macht ihr gewiß Freude, hat sie schon Seeleuchten gesehn? Vor allem bitte ich Euch seid nur vorsichtig, daß Ihr Euch nicht wieder erkältet, und frisch heimkehrt. –

Behalte lieb

Deine

alte Mutter

Lotte Häckel.

a eingef.: es

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.10.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36744
ID
36744