Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Potsdam], 21./22. April 1873

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Mein lieber Herzens Ernst!

Wie sehr freue ich mich mit Dir, daß Du so viel Schönes siehst, und auch so viel Freundlichkeit erfährst. Laß Dir nur den Weihrauch, den sie Dir streuen, nicht zu Kopf steigen; das kommt im Leben dann auch mal wieder anders; der Mensch muß sich nur nicht überheben, und mit Gleichmuth das Leben ertragen. Für jetzt freue ich mich aber innig mit Dir über das viele Gute, was Dir geworden, Du bist ja auch ein Sonntagskind. –

Wenn ich in Gedanken Dich auf Deiner jetzigen Reise || begleite, dann ist es mir als lebtest Du jetzt eine poetische Seite desselben. Du schwärmst in sovielen Naturschönheiten, siehst so manches von Gottes wunderbarer Schöpfung, dabei lebst Du herrlich und in Freuden, findest überall unter den Menschen freundliche Aufnahme und Anerkennung. – Und frage ich nun wie wird es werden, wenn er in die Prosa des gewöhnlichen Lebens zurückkehrt? Dann sag ich mir: nun durch die genossene Poesie muß er sich die Prosa veredeln, und || mit Ernst versuchen die Unebenheiten des Lebens auszugleichen; mit Liebe und Geduld vollbringt sich vieles, was auf den ersten Augenblick unerreichbar scheint. Nur immer mit klaren Augen und gutem Willen das Leben erfaßt.

Wie sehr freut es mich, daß Du nun über die Gesundheit der Deinigen ganz beruhigt sein kannst; Agnes schreibt mir ja in ihrem letzten Brief: die Seekrankheit sei überwunden, und beide Kinder seien gesund und munter; besonders beruhigt bin ich durch die Versicherung || das letzte Unwohlsein von Lisbet habe nichts mit dem Blasenleiden zu thun.

Gestern erhielt ich Deinen Brief, herzlichen Dank dafür, die Einlage habe ich gleich an Agnes geschickt.

Hier geht es im Ganzen gut; am vorigen Donnerstag waren Karl, Clara und alle Kinder hier bei mir, zufällig kam auch Conrad Jacobi mit seinem Onkel Karl, der zum Besuch bei Helehne ist; ich freue mich immer, wenn ich die Kinder bei mir habe; jetzt schon darauf, daß Du mit Walter zu Pfingsten zu mir kommen wirst, dann mußt Du uns recht von Deiner Reise erzählen. Gott behüte Dich und gebe uns ein frohes Wiedersehn. ||

Im Föllgeton der heutigen Zeitung vom 22sten steht ein langer Artikel aus Rom über die zoologische Stattion bei Neapel. Ich habe es in Deinem Intresse durch gelesen, mir ist es als hätte Dorn selbst das geschrieben. Ich habe die Zeitung für Dich zurück gelegt.

Hoffentlich wird hier das Wetter bis Du zurückkommst noch besser als jetzt, wo es unangenehm kalt ist; das wird Dir recht auffallen, wenn Du aus dem schönen Süden kommst. Ich glaube ich werde in diesem Sommer wohl gar keine Reise || unternehmen, wenn man so alt ist, muß man ruhig in seinen vier Pfählen bleiben. –

Karl wird nach Dortmund zu der Generalversammlung der Westphalia; – nach dem von dort erhaltenen Schreiben wird wahrscheinlich die Dividende a 12 Prozent betragen.

Hoffentlich geht es Dir ferner auf Deiner Reise so gut, und wir sehen Dich dann gesund und munter wieder; darnach sehnt sich

Deine

alte Mutter.

a gestr.: auf

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.04.1873
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36523
ID
36523