Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin], 25. Januar – 6. Februar 1867

Mein lieber Herzens Ernst!

Täglich möchte ich Dir schreiben, und doch weiß ich Dir nur zu sagen, wie sehr ich Dich liebe, und mit Sehnsucht an Dich denke; und dann mag ich wieder gar nicht schreiben, weil Du ja unsere Briefe gar nicht bekommst; Dein letzter vom 17ten December haben wir am 5ten Januar bekommen, und nun hoffe ich mit jedem Tag auf neue Nachricht. Heute ist schon der 25ste; ich sage mir wohl, daß ich bei dem unregelmässigen Verkehr der Post, Geduld haben muß. Nun wenn Du nur gesund bist, und es Dir gut geht, will ich zufrieden || sein. – Karl wird Dir Zeitungen schicken, der kann ja besser das Passende aussuchen als ich. – Heute ist der kleine Julius abgereist. – –

Auch Bertha Hildebrand ist heute nach Gotha gefahren, wo sie morgen und übermorgen bei Emmi sein will, und denkt Montag zu Hause zu kommen. Bertha war vorgestern noch bei uns, sie hatte von den Eltern gute Nachricht: der Bruder in Leipzig hat das Coloquium glücklich bestanden, und der zweite ist in Rom ganz glücklich über alle Kunstschätze. – Bei Ernst Reimer ist jetzt Agnes zum Besuch und || wird wohl länger hier bleiben, sie hat uns besucht und wir waren Dinstag bei Tante Bertha mit ihnen zusammen; ich werde sie auch bald mal bitten. –

Aus der Zeitung habe ich gesehn, daß am 21sten der Sohn von Sebecks gestorben ist; die armen Eltern, für ihn war der Tod eine Wohlthat, da doch an Besserung nicht zu denken war. In der letzten Zeit war der alte Sebeck auch krank, soll aber wieder ganz wohl sein. – –

Nun, für heute gute Nacht! mein Herzens Ernst. – ||

D. 25sten. Heute besuchte uns Dein Freund Hein aus Danzig; er läßt Dich herzlich grüssen, und sagt er denke mit treuer Liebe der alten Freunde. Er ist her gekommen zur Hochtzeit seines Bruders, Wilhelm. Er hat auch den Feldzug in Böhmen mitgemacht, und ist an einem Lazarett beschäftigt gewesen mit Regenbrecht. – – –

D. 29sten. Heute früh war ich bei der Lachmann, die mir sagte, daß der Staatsrath Sebeck wieder ganz wohl sei, sie theilte mir einen Brief von ihm mit, den er den Tag nach des Sohnes Tod geschrieben hatte. – ||

2ter Februar. Immer noch keinen Brief von unserem Ernst! so klagen wir täglich; und wenn Du, mein Herzens Sohn, nur gesund und zufrieden bist, dann will ich ja gerne mit Geduld wartten, bis wir Dich wieder bei uns haben werden. – Gestern bekamen wir wieder von Ernst Reimer zugeschickt, die Fortsetzung einer schon früher von ihm erhaltenen Recenson Deines Buches. Der Aufsatz ist von W. Wundta in krittischen Blättern für wissenschaftliche und praktische Medicin. – Vieles davon ist mir zu gelehrt und geht über meinen Horizont; und manches kam dem mütterlichen Herzen hart vor, doch || habe ich es mit Intresse gelesen, und der Schluß hat mir sehr gefallen, ich will ihn Dir her setzen: Wir schliessen hier unsere Besprechung, deren Ausdehnung ein Zeugniß sein mag, daß wir die ernste Arbeit, die in diesem Werke niedergelegt ist, wahrlich nicht gering anschlagen. Doch es geht dem wissenschaftlichen Recensenten wie dem Kunstkrittiker: je mehr ein Werk an tüchtiger Kraft verräth, umso störender werden die Flecken, die man an einer mittelmässigen Arbeit vielleicht nicht beachten würde. Und auch der wissenschaftliche Forscher hat das mit dem || Künstler gemein, daß er aus seinen eignen Fehlern am meisten lernt. Wenn erst der Verfasser dieses Werks mehr noch, als es zuweilen geschehn ist, seinem lebhaften Forschungsdrang den Zügel jener wissenschaftlichen Kritik anlegt, für die er bis jetzt alzu viel entusiastische Bewunderung besitzt, als daß er sie schon nüchtern genug auszuüben vermöchte, so wird ihm sicherlich auf der Bahn, die er sich vorgezeichnet, ein bedeutender Erfolg nicht fehlen. Denn wer den Enthusiasmuß nicht kennt, wird zwar in der Regel vor großen Fehlern, aber meistens auch von großen Leistungen bewahrt bleiben. W. Wundt. ||

Den 5ten Februar. Wie so besonders viel bin ich grade in diesem Monath mit meinem Herzen bei Dir, mein Herzens Sohn; ich weiß ja wie Deine Gefühle immer an den Tagen besonders aufgeregt sind, und doch hoffe ich Du wirst es ja immer mehr über Dich gewinnen, Dich mit Gleichmuth in dem uns auferlegten Geschick zu finden. Wir wollen ja bei unserem schweren Schicksal, Gott danken für das Gute was er uns gegeben, und so thue ich es besonders || dafür, daß er mir zwei so brave Söhne gegeben hat. Von Karl hatte ich heute Nachricht; er ist mit den Kindern wohl; natürlich fehlt ihm seine treue Mimmi. Auch wir sind gesund. Ich hoffe noch morgen von Dir einen Brief zu bekommen, der letzte war vom 17 December.b

Auch heute, Mittwoch, ist wieder kein Brief gekommen. Karl hat schon einigemal Zeitungen an Dich geschickt.c

Tante Bertha ist seit einigen Tagen in Potsdam, weil Gertrudchen auf 8 Tage zu ihrer Tante Hirzel nach Leipzig gereist ist.d

Nimm noch den innigsten Kuß von Deiner alten Mutter, die Dich sehr bittet, vernünftig zu sein.e

a irrtüml. für: Wand; b Text weiter auf S. 4 von Brief A 35950: dafür, daß … 17. December; c Text weiter auf S. 1 von Brief A 35950: Auch heute, … Dich geschickt.; d Text weiter auf S. 2 von Brief A 35950: Tante Bertha … gereist ist.; e Text weiter auf S. 3 von Brief A 35950: Nimm noch … zu sein.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.02.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36195
ID
36195