Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte

Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 1. April 1859, mit Beischrift von Charlotte Haeckel

Berlin 1 April 59.

Mein lieber Ernst!

Deine Briefe aus Rom haben wir richtig erhalten. Sie circuliren noch, so weit sie mittheilbar sind, bei Tante Bertha und Helene Jacobi, in Freyenwalde sind sie bereits gewesen. Wir gönnen Dir den großen Genuß, den Du in vieler Hinsicht in Rom gehabt hast und hoffen, daß Du nunmehr glüklich in Neapel angelangt bist. Deine Briefe haben mich ganz nach Rom versetzt und ich habe seit den letzten Wochen ganz darin gelebt. Zuerst gieng ich ins Enslinsche Panorama, wo in den letzten Wochen noch ein besondres Bild von Rom aufgestellt war, und man vom Standpunkt des Kapitols ganz Rom übersehen konnte. Ich fand dort einen jungen Mann, der in Rom gewesen war und das Gemählde einigen Damen erklärte und ich nahm daran Theil. Ich las ferner Momsens römische Geschichte, die zugleich eine geographische Beschreibung des alten Roms enthält, endlich brachte mir Martens einen Plan von Rom, den er sich von seiner Reise mitgebracht und die ganze Lage der Stadt mit ihren Straßen und Umgebungen enthält und den mir Martens, dem ich Deine Briefe vorlas, erklärte, so daß ich nun sehr orientirt bin, auch auf dem Plan gesehen habe, wo Du gewohnt hast. Es geht mir fast wie Dir. Mich intereßiren vorzugsweise die Ruinen des alten Rom und auch die Gegend, doch auch der Vatikan und die Peterskirche. Von dem Standpunkt aus, auf welchem ich mich befand, hatte ich die Ruinen des alten Roms zur Rechten, den Triumphbogen des Titus, das Colosseum und das Forum, zunächst vor mir und das neue Rom zur linken. Was die Reitze dieses außerordentlichen Orts noch besonders vermehrt, sind die Berge und Hügel um die Stadt und wenn man selbst dort ist, die vielen schönen Gärten und Villen. Historisch giebt es keinen 2ten Ort auf der Erde, der sich mit Rom meßen könnte. Ich bin nun sehr in die römische Geschichte hineingerathen, aus der unendlich viel zu lernen ist, besonders was die Politik betrifft und Du kannst Dir denkena, wie mich diese Geschichte, die ich viele Jahre im Zusammenhang nicht angesehn, intereßiert. Ich studire sie recht jetzt gründlich; und mache die nöthigen Anwendungen auf die Gegenwart. Daß Du so hübsche Gesellschaft gehabt hast und auch das brillante Karneval gesehen hast, ist eine schöne Zugabe. Die Reise wird Dir für Dein ganzes Leben werth bleiben. –

Jetzt von Neapel an wirst Du nun erst den Süden kennen lernen, nimm nur ja Deine Gesundheit recht in Acht und sei vorsichtig auf Deinen Spatziergängen, mache sie wo möglich, immer in Gesellschaft, daß Du nicht einsam überfallen wirst, bedenke, daß Du nicht in Deutschland bist, sondern unter einem Volke lebst, dem Hinterlist und Tüke nicht fremd sind. In Neapel wirst Du nun ganz neue Natur- und wißenschaftliche Genüße haben, benutze die letztern recht zu Deiner fernern Ausbildung. Von Deinen hiesigen Freunden wird einer nach dem andern versorgt. Du erhältst hiebei einige Zeilen von Pätzold, der nun Profeßor der Physiologie in Jena geworden ist. Nun so Gott will, wirst Du, wenn Dich Gott leben läßt, dereinst auch daran kommen. Vorerst sind Mutter und ich der Meinung, daß Du bei uns wohnen bleibst, wenn Du zurükkommst, weil mich Dein Unterhalt so am wenigsten kostet, was sehr wohl zu bedenken ist. Erhältst Du einmal eine Profeßur, dann magst Du Dich ganz selbständig etabliren. Der Geldpunkt ist wohl zu bedenken –, denn ich muß auch an Carl bedeutende Zuschüße machen. Mutter ist nun wieder beßer, ihr Kranksein hat doch beinah 4 Wochen gedauert; war es auch keine gefährliche Krankheit, so hat sie doch das Unwohlsein sehr angegriffen, seit einigen Tagen hat sie wieder einen kleinen Spatziergang gemacht. Uebermorgen sollen wir nach Freyenwalde zur Taufe. In 8 Tagen wird wohl Anna, die uns einige Mahl geschrieben hat, wieder zurükkommen, das wird recht schön sein, wenn sie wieder hier ist. Ottilie hat Mutter in dem Hauswesen treulich beigestanden. In diesen Tagen ist es sehr unruhig. Georg Reimer zieht in diesen Tagen aus in sein neues Haus, Mutter Reimer wird ihm zu Michaelis in sein Haus folgen. Uebermorgen (den 3ten) wird in Freyenwalde getauft, da will ich mit der Mutter hin, um den neuen Ankömmling zu bewillkommnen undb einige Tage da zu bleiben. – Ich besuche jetzt zuweilen die Sitzungen der 2ten Kammer, die ganz intereßant und lebhaft sind. Die 2te Kammer handelt ganz im Einverständniß mit dem Ministerii, wogegen das Herrenhaus Opposition macht. Mit dem Prinz Regent sind || wir sehr zufrieden. Wir haben hier schon mehrere schöne warme Frühlingstage gehabt, seit einigen Tagen ist es wieder umgeschlagenc nach einem Gewitter, der alte nordische Witterungsgang. Ich führe meine alte Art zu leben fort, gehe früh spatzieren, ruhe und lese dann. Nachmittag mache ich einige Besuche und Abends bin ich bei Mutter, Bertha, die Dich herzlich grüßen läßt, besuche ich fleißig; sie ist munter und hat vor einigen Tagen Mutter besucht und bei uns Kaffee getrunken. Julius und Adelheid aus Potsdam sehen wir zuweilen auf kurze Zeit. Wir denken täglich unendlich oft an Dich und begleiten Dich auf allen Deinen Wegen. Deinen Reiseplan setze nun nach eingezogenen Erkundigungen nach Deiner besten Einsicht fort. Du wirst nun eine Befriedigung ganz andrer Art erhalten, wenn Du an die See kommst und es wird wohl beinah noch 1 Jahr dauern, ehe Du zurükkehrst. Nun bringe nur recht viel Ausbeute mit.

[Beischrift von Charlotte Haeckel]

Mein lieber Herzens Ernst! Heute ist Deine Alte doch so weit, daß sie Dich wieder selbst begrüssen kann, sie hat sich in der ganzen Krankheit viel in Gedanken mit Dir beschäftigt; nun Gott sei gedankt, daß es Dir gut geht, er sei ferner mit seinem reichen Seegen mit Dir, erhalte Dich gesund, und gebe uns, so es sein Wille ist, ein frohes Wiedersehn. Sonntag hatten wir zu Mittag Heinerich und v. Martens gebeten, vor Tisch besuchte uns v. Petzold, umd Abschied zu nehmen, weil er nach Würzburg geht, um dort zu promovieren; ich behielt ihn auch zum Essen, und natürlich wurde viel von Dir gesprochen. Wie es scheint hast Du von unseren Briefen nur wenige || erhalten, zu Deinem Geburtstag hatten wir Dir nach Florens zweimal geschrieben, einen Anfangs Februar und einen später, daß er nach unserer Rechnung grade den 16ten ankommen sollte; wir haben die Briefe immer ganz frei gemacht; am Ende kommen sie besser an, wenn man nicht frankiert. – Frau Professor Weiß trägt uns immer Grüsse an Dich auf, wie auch die meisten Bekannte. – Sonntag früh wollen wir: Vater, Ottielie und ich nach Freienwalde zur Taufe; auch da wirst Du mir recht fehlen, wie bei allem. – Wie sehr mich Bleeks beschäftigen, kannst Du denken; Theodor wird den 6ten herkommen, und hier seine Berufstätigkeit fortsetzen. Mit Marichens Gesundheit geht es nicht sonderlich; wie sich noch alles gestalten wird, darüber läßt sich noch nichts bestimmtes sagen; Tante Auguste soll mit der Idee umgehn: Pensionäre zu nehmen; Gott gebe, daß alles nach Wunsch geht. – || Von Petzolds Brief habe ich das Siegel gemacht, damit es nicht zu dick wird, ich habe den Brief nicht gelesen. Eben war Julius Sethe hier, der Dich schön grüssen läßt; er ist bei Jung fertig, will einige Wochen in Potsdam Reitstunde nehmen, und denkt dann zum Ober Amtmann Zanack zu gehen. Petzold sagte uns: Hartmann würde wohl als Anatom nach Halle kommen. – Nun leb wohl mein Herzens Sohn, sorge nur immer recht für Deine Gesundheit und behalte lieb Deine alte Mutter

[Adresse]

Al Signore Dottore Ernesto Haeckel die Berlino

per adr. Signore Ernesto Berncastel

Farmacia Prussiana

Largo d. Francesco die Paola N. 7

Napoli (Italia)

(via Marseille)

Franco fina Napoli

Absender Oberregierungsrath Haeckel in Berlin

Wilhelmstraße N. 73.

a eingef.: denken; b irrtüml. doppelt: und; c korr. aus: eingeschlagen; d korr. aus: der

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
01.04.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Neapel
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36068
ID
36068