Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 16. Oktober 1862

Berlin 16 Octob. 62.

Lieber Ernst!

Deinen Brief haben wir erhalten und erfolgt hiebei das Silberzeug. Es freut uns, daß Ihr nun endlich Eure Sachen erhalten habt und zur Ruhe kommt. Diese letzten Wochen müssen für Euch sehr unangenehm gewesen sein. Das schöne Wetter hat aber noch vorgehalten und auch etwas Regen ist eingetreten. Ich fange mich nun allmählich an, auf das Winterleben vorzubereiten. Ich gehe noch früh im Thiergarten spatzieren, bis jetzt ohne Kühne, da dieser schlimme Augen gehabt hat und nicht ausgehen durfte. Wir werden wohl aber noch einige Wochen zusammen spatzieren gehen. Die kurzen Tage, die in den letzten Wochen so schnell eingetreten sind, wollen mir gar nicht gefallen. Bis dahin glaubte ich noch immer im Sommer zu sein, nun wird man auf einmal enttäuscht. Es ist doch recht schön, daß Anna

in den letzten Wochen noch die schöne Gegend um Jena gesehen hat. Ich habe nun meine Studien wieder begonnen, die Einleitung zum Neuen Testament von Bleek, geschichtliche Sachen etc. Die Politik ekelt mich jetzt so an, daß ich kaum die Zeitungen lese. Dann lebe ich noch in den Erinnerungen deßen, was ich diesen Sommer gesehn habe, den Rhein, Schlesien und zuletzt noch Freyenwalde. Die Kinder haben mich sehr amusirt, besonders der kleine Heinrich und Marie ganz prächtig. – Abends pflege ich zwischen 7- 9 Uhr mit der Mutter zu lesen und dann noch ein Spielchen zu machen. Bertha hat sich ein Quartier in der Potsdamer Straße nach dem Botanischen Garten zubesehn, was ihr sehr gefallen, ebenso die Weiss vorn an der Potsdamer Brüke, die jetzt schön gebaut wird und wobei dann noch ein hübscher a Platz vorn an der Brüke mit einer großen prächtigen Linde bleibt, vor welcher sich die Potsdamer- und Victoria-Straße spalten. Auch wird in unsrer Umgegend sehr viel gebaut. – Männlichen Umgang habe ich noch nicht viel gesehen, mehr Damen und Verwandte, welche die Mutter besuchen.

Uebermorgen erwarten wir Carl, der bis zum 21sten hier bleibt || indem den 20sten Berthas Geburtstag bei uns gefeiert werden soll. Wäre es nicht so spät im Jahr, so käme ich wohl noch zu Euch, um zu sehen, wie Ihr eingerichtet seid. So aber zweifle ich, dagegen erwarten wir Euch Weihnachten bei uns. A Dieu für heute

Dein Dich liebender Vater

Hkl

a gestr.: Patz

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
16.10.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36050
ID
36050