Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin], 4. September 1865

4 Sptember. 65.

Mein lieber Ernst!

Habe Dank für deinen a Brief vom 31stenb, aus welchen wir ersehen haben, wie Du in Helgoland lebst. Es hat uns sehr gefreut daß Du gute Gesellschaft hast und nicht so allein bist, um stets trüben Gedanken nachzuhängen und daß Du auch die See durch Baden gehörig benutzest. Wohl kann ich mir denken, daß Du Land, Feld,c Wiese, Wald, Berg und Thal sehr vermißest, es gieng mir damals in Norderney d, e im Jahr 1828. eben so und ich sehnte mich recht wieder nach dem Lande. Dir muß es um so mehr bange thun, als die Umgegend von Jena so schön ist. Das Burschenfest soll brillant genug gewesen sein, es sollen sich an 400 alte Burschen aus früherer Zeit eingefunden haben. Seebeck kommt schon in diesen Tagen wieder aus Meklenburg zurük, wo es ihm, wie die Luise Lachmann gestern erzählte, sehr gefallen haben soll. Gestern war Hein, Gertrud Passow, und die Luise Lachmann bei uns, wir haben einen recht hübschen Mittag verlebt und uns gut unterhalten. Hein ist bis in Pfeffers gewesen und war sehr zufrieden mit seiner Reise. Auch Oncle Julius ist wieder zurük, Adelheid hat das Bad in Kösen sehr gut gethan. Heute Mittag erwarten wir den Assessor Heinrich zum Eßen, da wird er auch manches zu erzählen wißen. Auch George Reimers sind zurük f die in der Schweitz am 4 Waldstätter See gewesen und außerordentlich entzükt sind. – Ich habe nun mit Mutter beinah 4 Wochen hier zugebracht. Wir haben zum Theil sehr naßes und veränderliches Wetter gehabt und ich habe viel studirt. Ich bin nehmlich in die Theologie hineingerathen und habe 3 Kritiker Bleek, Bauer aus Tübingen und David Strauss gelesen, welche alle die Frage über die Aechtheit der 4 Evangelien und der Apokalypse erörtert haben. Nachdem ich alle 3 gelesen, finde ich über die Apokalypse und das Evangelium Johannes, ob beide ächt seien oder nicht kein befriedigendes Resultat. Mich intereßirt die Sache sehr, da mir das Christenthum, die Geschichte seiner Entstehung und Verbreitung so am Herzen liegt, denn ihm verdanken wir doch unsre jetzige menschliche Kultur und daß der Mensch || geachtet wird und ich alter Mann, der nun doch nur wenige Jahre zu leben hat, fühle mich in der Hoffnung auf jenes Leben g durch das Christenthum so sehr gestärkt. h Ich habe recht tüchtig studirt und es ließ mir gar keine Ruhe bis ich die Bücher durch hatte. Nun gehe ich mit Mutter vom 9ten Dieses nach Landsberg, wo wir bis Ende Septemb. bleiben wollen, so daß wir am 1 Octob. wieder zurük sind. Bis Ende Septemb. willst Du ja auch in Helgoland bleiben. Dann kommen die Aequinoktialstürme und dann ist es nicht mehr gut frei auf der See. – Jetzt ist auch die Eisenbahn nach Hirschberg eröffnet und ich hoffe nun in 7 Stunden nach meiner lieben Heimath und in mein schönes Hirschberger Thal reisen zu können. – In Humbolds Reisen und Kosmos habe ich als wir zurükkamen auch noch gelesen. Jetzt ist die Bibliothek auf 3 Wochen geschloßen. Die Humboldschen Schriften haben mich doch ungemein intereßirt. Ich kann aber doch nicht sagen, daß ich so ungemein Sehnsucht nach Südamerika hätte, es ist mir dort zu heiß und das Land zu Menschen leer. Da lobe ich mir unser Europa. Wenn jetzt so viel gereist wird, da muß doch etwas hängen bleiben, um den Blik des Menschen für die Natur und das Intereße dafür zu erweitern. Da ist mir nun das Klima des südlichen Deutschlands am liebsten, einen etwas strengen Winter habe ich gern auf einige Monate, um dann den übrigen Theil des Jahres um so mehr zu genießen.

Heinrich hat eben bei mir Mittag gegeßen und uns von seiner Reise erzählt. Die schönste Parthie die er gemacht, ist gewesen: durch das Fuschthal, über die Pfandelscharte nach Heiligenblut. Die obere Aussicht ist ganz frei, die Wolken sind darunter gewesen. Auf dem Schaafberg haben sie schönes Wetter gehabt. Sodann sind Sie über die Malnitzer Tauern nach Gastein gekommen, haben auch Ischl gesehen. In Wien hat ihm das Caffeehausleben, worinn sich alles concentrirt, nicht gefallen. Es fehlt an häuslichem Leben; die Sitten sind sehr lax. In Prag ist er mit vielen Medicinern zusammengetroffen, hat auch ganz unerwartet Oncle Julius in demselben Gasthof (schwarzes Roß) gefunden.

Dein Alter Hkl

a gestr.: gestrigen; b eingef.: v. 31sten; c eingef.: Feld,; d gestr.: auch so; e gestr.: ich glaube es war; f gestr.: und; g gestr.: mehr; h gestr.: wird

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
04.09.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36026
ID
36026